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C. G. Jung - Ein Gewinn für Therapeut und Klient

Holger Nikolai Verglichen mit der Vielzahl moderner und neuer Therapieverfahren scheinen die klassischen analytischen Verfahren etwas ins Abseits geraten zu sein. Speziell die analytische Psychologie nach Carl Gustav Jung kann uns hingegen gerade in einer schnelllebigen Welt einen Blick auf die Seele eröffnen, der die heute oft propagierten schnellen Methoden alt aussehen läßt. - von Holger Nikolai, Oct 2015
Einige Grundlagen zum Werk Carl Gustav Jungs

C. G. Jung war ein Schweizer Psychiater und lebte von 1875 bis 1961. Sein langes und produktives Leben mündete in sein Werk der "analytischen Psychologie".

Freud gilt als Begründer der modernen Psychologie und war bis nach dem Ersten Weltkrieg in vielen Bereichen der Seelenforschung bis hin zu Kunst und Gesellschaft prägend. Seine Theorien faszinieren alle Generationen seit jener Zeit! Deren Grundlage war immer das "Unbewußte". Es bildet das Fundament der sogenannten "Tiefenpsychologie" – immer geht es um die Annahme, daß es unter einem "Wach"-Bewußtsein etwas Verborgenes gibt, das nur auf Umwegen zu erreichen ist. Erst später kamen die Verhaltenstherapie und die humanistischen Verfahren dazu, die auf die Theorie des Unbewußten nicht explizit eingehen.

Jung gehörte der Generation nach Freud an und war sein prominenter Schüler. Jungs größte und wichtigste Theorie ist die des "kollektiven Unbewußten" und der damit verbundenen "Archetypen". Während Freud annahm, daß das Unbewußte in erster Linie individuell ist, entdeckte Jung gewisse Gesetzmäßigkeiten im Erleben seiner Patienten. Forschungen hinsichtlich Religionen, Kulturen und Mythologie ließen Jung erkennen, daß es sich bei den seelischen Inhalten der Geisteskranken sehr häufig um Motive handelte, die in vollkommen anderen Zusammenhängen, Zeiten und Kulturen in frappierender Ähnlichkeit vorkommen oder vorgekommen sind. Es schien ihm so, als sei z. B. den Schizophrenen ein Zugang zu Seelenschichten möglich, die "gesunden" Personen verschlossen blieben. Die Ähnlichkeiten dieser Inhalte zu beschriebenen oder tatsächlichen Vorkommnissen führten zu der Theorie, daß ein gewisses "Kernrepertoire" an Bildern, Geschichten, Mythen und Symbolen offensichtlich allen Menschen zu allen Zeiten gemein ist. Sie sind der übergroßen Mehrheit lediglich verschlossen und verbleiben im Unbewußten, während sie den Schizophrenen zugänglich zu sein scheinen. Die Idee des "kollektiven Unbewußten" war geboren.

Diese Theorie verändert die Sichtweise auf den gesunden und den seelisch gestörten Menschen. Sie ermöglicht es dem Wissenschaftler, nicht auf einen Kranken "herabzusehen", sondern eine Gelegenheit zu haben, Dinge zu entdecken, die ihm selbst – in aller Regel – verborgen bleiben. Die Grundannahme besteht darin, daß der tiefste Wesenskern aller Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten der Welt verwandte oder sogar gemeinsame archaische Inhalte aufweist. Verdeutlicht hat Jung seine Theorie mit den von ihm so benannten "Archetypen", Figuren teils menschlichen, teils mythischen Charakters, deren Eigenschaften und Kennzeichen praktisch jeden Menschen unmittelbar emotional berühren und ähnliche Reaktionen hervorrufen.

Jung hat große Reisen unternommen, um Völker zu studieren, die der westlichen Zivilisation völlig fern waren. Seine Erkenntnisse, wie diese Menschen mit Träumen, Gedanken und der Sicht auf die elementare Welt umgehen, liegen seinen Überlegungen zugrunde, wieviel von diesen archaischen, unverfälschten Inhalten in jedem Menschen steckt, auch in den hochzivilisierten Regionen der Welt. Es scheint, daß wir auch heute täglich mehr der Tatsache gewahr werden, daß es unendlich viele Gemeinsamkeiten gibt und die vielen "zivilisierten" Umstände nur eine hauchdünne Makulatur darstellen, die uns sehr erfolgreich vom Wesen des Menschen, der Welt und von unserem eigenen Unbewußten fernhält.

Das Phänomen, die "Erscheinung", als das zu betrachten, was sich uns darbietet, ist die wohl größte Herausforderung an den Menschen, deren Verlust Jung bereits vor rund 100 Jahren beklagt hat. Das, was sich uns täglich zeigt, zu vernachlässigen oder zu intellektualisieren, ist das Dilemma des modernen Menschen (frei zitiert nach Jung, um 1920).

Ein Beispiel: der Tagesablauf. Wer denkt bewußt über das tägliche Schauspiel des Sonnenauf- und –untergangs nach? Entweder wird dieses Phänomen als selbstverständlich übergangen, oder es wird intellektualisiert: wir wissen um die Funktionen unseres Sonnensystems und halten uns damit für "aufgeklärt"! Die emotionale Berührung ist für die meisten gleich Null. Genau dieser Verlust an emotionaler Aufladung ist aber die Grundlage vieler seelischer Störungen in unserer Zeit!

Während z. B. Schizophrene oft an einem "Zuviel" dieser Emotionalität leiden, trifft für die meisten als "neurotisch" bezeichneten Personen ein "Zuwenig" zu. Die meisten Verfahren zielen auf eine Gewahrwerdung der Emotionalität und deren Integration in die Gesamtpersönlichkeit ab.

Zurück zum Beispiel: Versuchen wir, unser intellektuelles Wissen um den Lauf der Sonne zu vergessen und geben uns – mit allen Sinnen – dem Ereignis einfach hin! Ein Feuerball erscheint, der uns mit Wärme und Licht versorgt, der uns Nahrung und Orientierung spendet – uns aber auch gnadenlos vernichten kann, mit Feuer und Schrecken! Wir können sein Erscheinen nicht verhindern, sind auf ihn angewiesen, müssen ihm aber auch mit Respekt und Vorsicht begegnen. Wieviele Assoziationen ermöglichen allein diese Aussagen? Welche Bilder nehmen wir in diesem Augenblick wahr? Woran werden wir erinnert? Es ist ein kurzer Weg zu Göttern und Mythen, deren Entstehung und Sinn in diesem Moment besser nachvollziehbar werden, wenn wir uns der Unausweichlichkeit dieses Vorgangs bewußtwerden. Desgleichen der Sonnenuntergang: ein Verlöschen, Erkalten, Sterben, Dunkelwerden. Die gesamte menschliche Existenz von der Geburt bis zum Tod ist in diesem Ablauf enthalten – wir sind beim symbolischen Gehalt der Phänomene.

Die Verwissenschaftlichung führt dazu, die Emotionen "abzuschalten". Angeraten wäre es aber, das "Staunen" zu behalten. Die Dinge als das zu nehmen, was sie darstellen, ist keine Oberflächlichkeit, sondern führt am ehesten in die Tiefe. Denn der Weg in die Tiefe ist der Weg in die Emotionalität.







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