Navigation Psychomeda.de
Das Psychologie-Portal

Kunsttherapie und Psychotherapie: Ein Vergleich (Teil 2)

Teil: 2 als Fortsetzung eines Vergleichs zwischen kunsttherapeutischen und psychotherapeutischen Prozessen: Das Material Ton im kunsttherapeutischen Prozess, die Bedeutung der Formenwelt und von therapeutischen Techniken. - von Urs Weth, Feb 2011

Das lebendigste Material

Darin nun liegt die große Bedeutung des Materials Ton: Es ist das umfassendste und lebendigste Material, was es gibt und hat dadurch den grösstmöglichen Zugang zu allen seelischen Eigenschaften des Menschen. Dies ist der Grund, weshalb ich fast ausschliesslich dieses Material verwende. Wenngleich ich hier noch anfügen muß, daß Unmittelbarkeit durchaus nicht zum Vornherein etwas ist, was man hat, sondern geübt werden muß. Das bildnerische Gestalten, welches sich nicht an der Vorstellung orientiert, muß parallel erworben werden, um den Fluss der Gestaltungskräfte vom Kopf in die „Mitte“ zu bringen. Diese Arbeit macht einen wesentlichen Teil einer anthroposophischen Kunsttherapie aus, ist aber noch nicht der Inhalt selbst.

Nun haben wir sozusagen folgende Ausgangssituation für das kunsttherapeutische Schaffen: Das Werk des Patienten steht vor uns und offenbart uns vielleicht einen ähnlich umfassenden Eindruck über die konstitutionelle und seelische Verfassung der Gesamtpersönlichkeit, wie dies möglicherweise ein Gesicht offenbaren kann (siehe Teil 1). Aber was nun? Was hilft es, wenn ich das als Therapeut „weiß“ oder „sehe“, weil ich dafür eine geschärfte Wahrnehmung habe? Hier hat die Psychotherapie zweifellos einen leichteren und realeren Zugang zum Bewusstsein, weil sie sich die Schichten quasi von oben herab „abgräbt“.

Der gestalterische Ausdruck zeigt sicher mehr von seinem Gestalter und geht tiefer als es durch die verbale Kommunikation möglich wäre. Aber der Betroffene weiß noch nichts von „seinem Kinde“! Somit ergibt sich immer eine schwierige Situation, die viel Erfahrung und Feingefühl braucht von Seiten des Therapeuten. Ansonsten trennt ihn eine große Wand von dem Patienten, die er nicht durchbrechen kann.

Wahrnehmungsschulung durch Formbetrachtung

Deshalb besteht eine sehr wichtige Arbeit der Kunsttherapie in der Selbst-Reflexion. Dies gilt nicht nur für die Seite des Patienten, sondern ist vor allem auch für den Therapeuten eminent wichtig! „Wahrnehmungsschulung“ ist hier das Zauberwort. Der gute Kunsttherapeut ist aber fähig, seine Patienten durch einen Erwachungsprozess an die Form heran und hindurch zu führen. Dies geschieht vor allem auch immer wieder durch vergleichende Formbetrachtungen.

Dabei werden schon bald die ersten "Mängel" aufgedeckt. Die Sensibilität der Eigenwahrnehmung, das schnelle Abdriften in eine intellektuelle, abstrakte Formdeutung. Das sind Dinge, die bei Weitem selbst von erfahrenen Therapeuten nicht wirklich durchdrungen werden. So gesehen arbeitet die Kunsttherapie mehr von „unten herauf“ als von „oben herab“, das heißt Unbewusstes wird vom Bewußtsein mehr und mehr durchdrungen und ans Tageslicht gebracht.

Natürlich wirkt etwas auch ohne Bewußtsein: Davon halte ich mich aber möglichst zurück! Solange die Wahrnehmung nur an mein Gefühl gebunden ist, wird eine Intervention ausserordentlich gefährlich. Es wird ohnehin oft zuviel Gewicht auf die eigentliche Technik gelegt und viel zu wenig auf die Interaktion. Liebe und Achtsamkeit entstehen nie durch eine Technik, sondern nur durch Beziehung! Und letztlich sind diese Kräfte wirksamer als die besten Übungen! Das sei nun aber nur am Rande erwähnt und gilt für beide Therapieströmungen gleichermaßen.

Dennoch mache ich nochmals den Bogen zurück zum Unbewussten, wo ich vorher stehengeblieben bin. Weil nun dieses Unbewusste viel stärker an körperliche Vorgänge gebunden ist, als das Bewußtsein, wird oft im Zusammenhang mit der Kunsttherapie auch von einer "körperorientierten Therapie" gesprochen! Die anthroposophische Kunsttherapie im Speziellen greift durch ihre Interventionen im Unbewussten gleichzeitig sehr stark in die Körperfunktionen ein und regeneriert ebenfalls von dorther wiederum das organische und pathologische Geschehen.

Tut sie dies nun weniger therapiebetont, also mehr präventiv am gesunden Menschen, so greift sie damit möglichen negativen Krankheitsverläufen vor. Damit arbeitet sie dann nicht pathogenetisch, sondern salutogenetisch!

Es ist mir sehr wichtig, daß man diesen Unterschied erkennt und die spezifischen Vorteile jeder Therapieform genau unterscheiden kann. Die Psychotherapie ist immer „näher“ am Bewußtsein des Patienten. Eine gut geführte Psychotherapie erreicht mit ihrem Wirken von „oben herab“ jene Seelenschichten, welche „verantwortlich“ sind für einen möglichen Krankheitsverlauf. Sie geht primär den psychischen Faktoren einer „Störung“ auf den Grund.

Kunsttherapie erkennt Urgrund

Die Kunsttherapie erkennt mit ihren Mitteln ebenfalls den psychischen Urgrund eines pathologischen Verlaufes, aber nicht über die bewußte „beschreibbare“ Seite, sondern durch gestaltbildende, unbewusste, formbildende Faktoren, welche sich der geschulten Wahrnehmung als Abdruck in derselben „zeigen“, wie dies beim Gesicht der Fall ist.

Sie gräbt sich somit in die Tiefen „des Getriebes“ ein und versucht durch Selbst-Bewußtsein aktives Handeln einzuleiten. Diese Handlung hat jedoch immer einen unbewussten „Rest“, welcher durch immer neues Tun im „Nachklang“ „aufgearbeitet“ wird. Hierbei führt der Kunsttherapeut den Prozeß des Erwachens durch Rückmeldung und/oder Konfrontation.
Abschliessend sei noch einmal erwähnt, daß sich diametrale Unterschiede vor allem im Bewusstseinsniveau zeigen, daß aber beide Methoden gleichermaßen ein Ziel vor Augen haben sollten: Das Ansprechen einer sich entwickelnden Gesamtpersönlichkeit.

Kunsttherapie und Psychotherapie: Ein Vergleich (Teil 1)...




Online-Beratung

Auf Psychomeda beantworten Psychologen und Therapeuten Ihre Fragen unentgeltlich. Jetzt online Ihre Frage stellen...


Therapeuten

Zuletzt aufgerufene Therapeuten-Seiten. Therapeut, Coach, Berater? Eintragen...


Beliebt auf Psychomeda


TwitterSocial Feed



Folgen Sie uns auf Twitter


Qualität

Psychomeda ist ein unabhängiges psychologisches Informations- und Beratungsportal von Psychologen und Therapeuten. Wir informieren evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage. Weiter