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Kunsttherapie und Psychotherapie: Ein Vergleich (Teil 1)

Ich wurde vor einiger Zeit angefragt, vor Psychotherapeuten einen Vortrag darüber zu halten, was denn nun eigentlich genau Kunsttherapie sei und wie sie sich von der Psychotherapie abgrenze. Da es sich um ein Publikum handelte, welches mit seelischen Prozessen zu tun hatte und eigentlich von der psychischen Ausrichtung des Menschen ausgegangen werden konnte, knüpfte ich meine Gedanken daran an. Hier eine schriftliche Zusammenfassung. - von Urs Weth, Feb 2011

Nonverbale Therapie

Primär ist die Kunsttherapie einmal sicherlich eine nonverbale Therapieform, welche sich der Sprache der Kunst als Medium bedient. Welches künstlerische Medium dabei im Vordergrund steht, sei vorläufig irrelevant, solange man im Allgemeinen bleibt.
Darüber hinaus hat aber selbstverständlich jedes Medium wiederum seine eigenen Gesetze und Qualitäten. Und weil mein persönliches Medium die bildende Kunst ist, genauer: das bildnerisch-plastische zentral im Mittelpunkt steht, möchte ich auch von diesen Möglichkeiten hier ausgehen. Dabei gibt es sicherlich viele Parallelen zu den anderen Künsten, was die prozesshafte Begleitung anbelangt.

Ich führe Sie zunächst gerne einmal in eine Formbetrachtung, die wir alle kennen. Wenn ich ein menschliches Gesicht betrachte, dann kann ich unmittelbar und schlüssig auf eine bestimmte Befindlichkeit meines Gegenübers schliessen. Ich würde behaupten, daß fast jeder Mensch in der Lage ist, ein Gesicht in dieser Weise zu beurteilen. Wenn sich in der Mimik z. B. Arroganz zeigt, dann können bestimmt 99 von 100 Menschen diese Arroganz „ablesen“. Sogar Kinder können das, auch wenn sie es vielleicht noch nicht so klar mit einem Wort benennen können. Wir sehen also, da ist eine Form – das menschliche Gesicht – mit einer klaren Struktur, mit Flächen und Linien. Würden wir diese Flächen und Linien differenziert und einzeln analysieren, dann hätten wir vielleicht bald einmal Mühe, das Ganze darin noch zu sehen.

Im Ganzen steckt eine Aussage

Die Stimmung, welche sich aus der spezifischen Konfiguration dieses „Reliefs“ Menschengesicht ergibt, könnten wir nur noch schwer herauslesen. Wir tun das auch meistens gar nicht. Wir achten uns überhaupt nicht auf Einzelheiten, weil wir immer das Ganze als einheitliche Stimmung wahrnehmen. Im Ganzen steckt eine Aussage, die wir zu deuten wissen, weil wir lebendige, empfindende Wesen sind. Wie das geht, möchte ich hier aber zunächst einmal nicht weiter behandeln, obwohl es dafür ganz bestimmt viele neurologische Forschungen gibt.

Wir könnten uns nun fragen: Warum tun wir das nicht mit allen Formen, die wir in der Welt erkennen? Sobald wir nämlich vom Gesicht wegsehen und das Bild eines Künstlers betrachten, fangen wir ganz schnell an zu interpretieren und zu analysieren. Wir fangen an, Symbole zu finden und diese zu deuten oder zu kategorisieren. Schnell schaltet sich also unser Intellekt ein und verdrängt das vorherrschende Gefühl von vorher! Wir sagen vielleicht: „Aha, ein Baum links oben: Das heißt dies und das!“ Und eine Schlange im mittleren Bereich des Bildes deuten wir dann vielleicht als unbewusste Mitte usw. Damit meinen wir, die Psyche des Künstlers erfasst zu haben und sind zufrieden. Aber diese Interpretationsformen sind leider sehr uneinheitlich und von den angesprochenen 100 Personen hätten wir mit Sicherheit 99 verschiedene psychische Modelle.

Also, diese Betrachtungsweise, die wir am Gesicht so selbstverständlich anwenden, und die doch so zuverlässig ist, die lassen wir sehr schnell vermissen, wenn wir andere Formen anschauen. Möglicherweise können wir sie noch aufrecht erhalten, wenn wir den Gang oder die Haltung eines Menschen ansehen. Dann ist aber schon definitiv Schluss! Prüfen Sie bei sich, wie sie sich gegenüber Formen verhalten und welchen Zugang Sie dazu haben. Sobald Sie auf die Wahrnehmung Gesicht umstellen, wird der Intellekt ein wenig verdrängt und das Gefühl wird wacher. Das ist ja gerade die Faszination des Gesichtes!

In der Psychotherapie arbeitet man primär mit Worten. Manchmal auch mit Symbolen, jedenfalls meistens analytisch. Hier wird nicht primär das Unbewusste angesprochen. Denn das Unbewusste läßt sich erst dann beschreiben, wenn es bewußt wird! Erst dann können wir es beschreiben. Das wird oft vom Psychotherapeuten zu wenig berücksichtigt . So sind wir in der Psychotherapie gezwungen, an der Oberfläche, am Bewußten zu arbeiten und uns von da bewusstseinsmäßig sozusagen „hinab“ zu arbeiten in die dunklen Gefilde der Psyche.

Oft zeigt sich der „Abstieg“ als Widerstand beim Patienten. Was als „Inhaltsanalyse“ begann, muß nun als „Widerstandsanalyse“ fortgesetzt werden. Dabei kann der Psychotherapeut sehr interessante Prozesse in Gang setzen und sozusagen immer mehr Bewußtsein „von oben herab“ aufwecken: "Defreecing", Auftauen, könnte man es (nach Lewin)nennen. Der Prozeß taucht so mit Sicherheit in die Krisenphase ab, welche als solche erkannt sein will und in einen „Change“ führen muß. Das ist die Hauptarbeit des Psychotherapeuten.

Wie bereits erwähnt, ist die Kunsttherapie anders ausgerichtet. Was wir als Gesichtswahrnehmung kennen gelernt haben, wird nun, bewußt geschult, auf die ganze Formenwelt angewendet! Somit sind wir zunächst den unbewussten Schichten näher als der Psychotherapeut. Aber eben nur zunächst.
Eine andere Frage taucht jetzt auf: wie bringe ich den begleiteten Menschen dazu, solches mit Bewußtsein zu durchdringen, was scheinbar unbewusst verborgen liegt. Durch die schärfer geschulte Formwahrnehmung und den selbst durchlaufenen künstlerischen Prozeß, hat der Therapeut hier dem Patienten etwas voraus, was bewußt umgewandelt werden muß um eine Wirkung zu erlangen.

Zugang zum Seelischen

Je näher der Stoff bei der gestaltenden Hand liegt, umso adäquater ist der „Abdruck“ des gestaltenden Menschen. Alle Materialien, welche den Teil-Aspekt betonen oder weiter von der Hand weg sind, also Legos, Bauteilchen, Einzelteile halt, die zusammengestellt werden, spiegeln primär einen intellektuellen Teilaspekt des Menschen. Sie haben sicher auch eine gewisse Relevanz zum Unbewussten, sind aber uneinheitlicher und kopfbetonter.
Darin nun liegt die große Bedeutung des Materials Ton: Es ist das umfassendste und lebendigste Material was es gibt und hat dadurch den grösstmöglichen Zugang zu allen seelischen Eigenschaften des Menschen. Dies ist der Grund, weshalb ich fast ausschliesslich dieses Material verwende. (Teil 2 folgt)




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