Wie gehe ich mit den notorischen Lügen meiner Mutter um?
Nina (w, 30) aus Konstanz: Guten Tag, meine Mutter erzählt uns schon immer die phantasievollsten Geschichten über ihr Leben. Sie sei berühmtes Model gewesen, habe mit einem geheimnisvollen Fotografen zusammengearbeitet. Es gibt viele solcher Geschichten. Eine der 'größten' ist, dass sie nicht das Kind meiner Großeltern sei, sondern das Kind eines Native Americans, der nach dem WW2 in DE stationiert gewesen sei & mit der Schwester meiner Oma ein Kind bekommen habe. Diese Schwester ist lange verstorben. Sie hat Artefakte von Ureinwohnern, war dort auf Reisen, auf traditionellen Veranstaltungen, hat online Freunde gesucht und ihnen diese Geschichte erzählt. Natürlich gibt es keine Familie mehr: sie hätte diese zwar kennengelernt, aber sie sein alle gestorben. Die Geschichte erzählt sie Freunden und meine Schwester und ich haben ihr das natürlich geglaubt als wir klein waren. Ich habe unzählige Lügen von meiner Mutter gehört, manche durschaubar, manche sind nach Jahren aufgeflogen. Inzwischen fällt es mir sehr schwer, ihr irgendetwas zu glauben. Meine Mutter ist nun in der 3. Scheidung und hat auch hier wieder eine Geschichte erzählt, zu der sie keine richtigen Beweise liefern kann/möchte. Das Angebot einen Anwalt zu involvieren nimmt sie partout nicht an. Das hat dazu geführt, dass ich nun endlich den Mut zusammen genommen habe und einen DNA-Test zu meiner Herkunft gemacht habe. Ich bin natürlich nicht zu 25% amerik. Ureinwohner. Soll ich meine Mutter damit konfrontieren? Wie kann ich mit der notorischen Lügerei umgehen?
Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:
Liebe Nina,ich kann gut verstehen, dass die Lügen Ihrer Mutter für Sie schwierig sind und dass Sie sich fragen, wie Sie damit umgehen können.
Da Ihre Mutter Ihnen schon Ihr Leben lang diese Geschichten erzählt, kann man davon ausgehen, dass hier möglicherweise tiefere Gründe dahinterstecken, die dazu führen. Die Geschichten, von den Sie berichtet haben, haben ja alle gemeinsam, dass Ihre Mutter dadurch weniger gewöhnlich erscheint - berühmtes Model, geheimnisvolle Fotografen, Kind eines amerikanischen Ureinwohners. Es scheint, als wolle sie dadurch dafür sorgen, dass sie als besonders wahrgenommen wird und dass ihr Aufmerksamkeit zuteil wird. Es könnte also auf mangelnde Aufmerksamkeit zurückgehen und daraus resultierend eine Selbstwertproblematik entstanden sein, die Ihre Mutter für sich 'gelöst' hat, indem Sie sich Geschichten ausdenkt. Diese Lügen haben für Ihre Mutter also wahrscheinlich eine wichtige, psychisch stabilisierende Funktion.
Ich denke, diesen Hintergrund zu verstehen, ist wichtig, um zu überlegen, wie Sie damit umgehen können. Da das Thema bei Ihrer Mutter offensichtlich sehr tief geht, wird eine harte Konfrontation wahrscheinlich eher zu einer Abwehr führen. Oder sie denkt sich noch weitere Geschichten aus, um die neue Information (Ergebnis des DNA-Tests) mit der alten Geschichte in Einklang zu bringen. Sinnvoller wäre es daher vielleicht, sich eher behutsam zu nähern. Vielleicht gibt es auch mal kleinere Lügen, über die es leichter ist, ins Gespräch zu kommen, und Ihre Mutter mal offen zu fragen, wie es kommt, dass sie gelogen hat. Gut wäre es, hier nicht vorwurfsvoll zu reagieren, sondern eher Neugier und Interesse zu zeigen. Also dass es darum geht, sie zu verstehen, warum sie das macht. Und ihr auch zu signalisieren, dass Sie sie auch nicht ablehnen würden und dass sie Ihnen immer noch genau so wichtig wäre, wenn sie die Wahrheit sagen würde.
Und gleichzeitig wird bei Ihnen sicherlich auch eine Verletzung da sein, dass Ihre Mutter Sie z.B. bezüglich Ihrer Herkunft angelogen hat. Auch wenn die Lügen für Ihre Mutter eine Funktion haben, ist es Ihnen gegenüber dennoch nicht in Ordnung, dass sie Sie über so wichtige Dinge anlügt. Deswegen ist es auch nachvollziehbar und sicher auch sinnvoll, dass Sie alles, was Ihre Mutter Ihnen erzählt, erstmal mit einer gewissen Skepsis betrachten. Offensichtlich fragen Sie ja auch nach Beweisen, die Ihre Mutter Ihnen dann nicht liefert, was Ihre Skepsis natürlich - verständlicherweise - weiter verstärkt. Hier dürfen Sie auch Ihre Zweifel Ihrer Mutter gegenüber äußern und auch, wie das für Sie ist. Es kann dann natürlich passieren, dass sie daraufhin Widerstand zeigt. Und dann bleibt Ihnen zu überlegen, wie Sie sich selbst schützen können, z.B. innerlich und/oder äußerlich auf Abstand zu gehen. Je nachdem, wie sehr Sie unter der Situation leiden, kann es auch sinnvoll sein, eine weitergehende Beratung oder Familientherapie in Anspruch zu nehmen.
Da die Problematik schon so lange und umfassend besteht, gehe ich davon aus, dass es keine schnelle und einfache Lösung gibt. Dazu wäre zunächst die Einsicht Ihrer Mutter notwendig und der Wille, etwas zu ändern. Das lässt sich aus Ihrem Text schwer abschätzen. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass Ihre Mutter selbst unter ihren Lügen leidet und vielleicht auch froh ist, wenn sie merkt, dass sie Ihnen gegenüber nicht mehr lügen muss.
Also um das zusammenzufassen: Es kann sinnvoll sein, behutsam das Gespräch zu suchen - mit dem Fokus auf Verstehenwollen und eine Lösung zu suchen, statt auf Konfrontation. Sie dürfen aber auch Ihre Zweifel äußern, Sie dürfen sich selbst schützen und Sie dürfen sich weitere Unterstützung suchen, wenn Sie das brauchen.
Ich hoffe, das bringt Sie ein Stück weiter. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, schreiben Sie mir gerne unter meiner Email-Adresse: info@loesbar-online.de
Ansonsten wünsche ich Ihnen alles Gute.
Viele Grüße
Astrid Hiersekorn
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