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Wie finde ich zu mir selbst und wie kann ich mich vor den Emotionen anderer schützen?

Kira (w, 49) aus Köln: Liebes Team. Als Baby bin ich adoptiert worden und hatte immer schon Ängste und Panikattacken. Ich nahm und nehme Dinge wahr, die mein Umfeld nicht wahrnimmt. Ich wurde von Therapeut zu Therapeut geschickt, die nicht wussten, was mit mir los ist. Deshalb werde ich bis heute als die Irre betitelt. Mein Bauchgefühl ist überwältigend. Ich spürte einen Tag vor dem Schlaganfall meines Vaters, dass etwas passiert. Er glaubte mir nicht, ging nicht ins KH und in der Nacht passierte es. Wenn ich z.B. im Wartezimmer neben Menschen sitze, spüre ich ihre Gefühle und muss oft aufstehen, weil ich damit nicht klarkomme. Ich sauge das Innerste anderer Menschen auf wie ein Schwamm. Habe Probleme in großen Gruppen, da ich die Geräuschkulisse nicht ertrage, genauso wie helles Licht. Ich denke und denke, zerdenke, reflektiere und habe mich völlig zurückgezogen, da ich noch die alten Werte lebe und die Menschen heutzutage unempathisch, nicht hilfsbereit, etc sind. Ich weiß nicht, wie ich ins 'normale' Leben zurückkehren soll, da mich andere Menschen absolut stressen. Vielleicht haben Sie einen Rat für mich, wie ich erstens zu mir zurückfinde und mich zweitens vor den Emotionen anderer schützen kann. Vielen Dank und herzliche Grüße, Kira

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Kira,

das klingt, als seien Sie mit einer ganz besonders ausgeprägten Sensibilität ausgestattet. Meist ist so etwas eine Mischung aus einer angeborenen Sensibilität in Kombination mit der eigenen Biographie. Ihr Leben hatte ja schon frühzeitig große Umbrüche, die vielleicht Ihre ohnehin schon feinen Antennen noch verstärkt haben.

Dass Sie den Schlaganfall Ihres Vaters einen Tag im Voraus gespürt haben, klingt in diesem Zusammenhang gar nicht mal so 'irre'. Einem Schlaganfall gehen ja manchmal kleine Mini-Schlaganfälle voraus, so dass Sie - wenn möglicherweise auch nur unterbewusst - eine Veränderung an Ihrem Vater festgestellt haben, die Sie als bedrohlich erlebt haben. Es tut mir sehr leid, dass Sie als 'die Irre' bezeichnet werden, nur weil Sie Dinge wahrnehmen, die unter der Wahrnehmungsschwelle anderer liegen. Wir sind alle in vieler Hinsicht ähnlich, aber es gibt eben auch Unterschiede. Der eine ist sensibler, der andere eher weniger - und an beidem ist erst einmal nichts falsch. Es braucht beide Sorten Menschen, die die robust sind und vorausgehen und die, die die feinen Antennen haben und gewissermaßen aufpassen.

Ich denke, das zu sich Zurückfinden kann vielleicht gut über Akzeptanz passieren. Sich selbst so lernen zu akzeptieren, wie Sie sind. Stück für Stück. Vielleicht kann Ihnen Literatur zu Hochsensibilität dabei helfen oder der Kontakt zu anderen Menschen, die auch so sind wie Sie, im Internet oder durch Selbsthilfegruppen. Und auch durch das Herausfinden und Tun, was Ihnen gut tut. Sensible Menschen profitieren oft von viel Zeit in der Natur, Spaziergängen, ruhiger Musik, Gartenarbeit, sanfter Bewegung wie Yoga. Sicher haben Sie hier auch schon Aktivitäten in Ihrem Repertoire, die Sie vielleicht noch weiter ausbauen können.

Und ich denke auch, dass Grenzen spüren und ziehen ein wichtiges Thema sein könnte. Sowohl im Innen, als auch im Außen. Also das heißt, zu Menschen, die Sie als Irre bezeichnen, dürfen Sie Abstand nehmen. Es ist nicht falsch, sich zurückzuziehen, wenn es zu viel wird. Im Gegenteil. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass nicht alle Menschen unempathisch und nicht hilfsbereit sind. Ich verstehe, wie der Eindruck entstehen kann, wenn Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ich glaube, dass nach wie vor sehr viele Menschen zur Empathie und Hilfsbereitschaft fähig und gern für andere da sind. Das heißt, es geht wahrscheinlich eher darum, die 'Spreu vom Weizen' zu trennen, d.h. sich von den Menschen fernhalten, die nicht auf Sie eingehen können oder wollen, und sich denen annähern, die dazu in der Lage sind.

Und was die Energien anderer betrifft: Einmal denke ich, ist es wichtig, dass Sie sich bewusst werden, dass Sie nicht für die Energien der anderen verantwortlich sind. Das sind deren Energien, die mit Ihnen nichts zu tun haben. Also auch hier wieder: Sich der Grenzen bewusst werden. Hier sind Sie und dort sind die anderen. Und dann diese Energien wieder zurückgeben. Also wenn Sie im Wartezimmer sitzen und die Energie der Person neben sich spüren, können Sie sich sagen: 'Okay, das ist jetzt deine Energie. Danke, aber ich brauche die jetzt gerade nicht und gebe sie dir wieder zurück.' Vielleicht hilft es Ihnen auch, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie sich eine Art unsichtbaren Zaubermantel überstreifen, wenn Sie aus dem Haus gehen, der Sie vor den Energien anderer beschützt und diese zurück reflektiert. Oder eine Art Seifenblase, die um Sie herum ist, die die Energien der anderen nicht durchdringen kann. Schauen Sie mal, ob es da vielleicht ein Bild gibt, das für Sie stimmig erscheint.

Vielleicht helfen aber auch so ganz praktische Dinge wie Kopfhörer mit Musik oder ein Buch, in das Sie sich vertiefen können, ein Duft, der Sie erden kann. Hier gilt es auszuprobieren, was für Sie hilfreich ist.

Das Wichtigste ist, denke ich, gut zu sich selbst zu sein und sich wie eine gute Freundin zu behandeln. Zu spüren, was Ihnen gut tut, und das in Ihr Leben einzuladen. Und zu spüren, was Ihnen nicht gut tut, und das von sich abzuweisen - praktisch oder innerlich.

Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass Sie von einer Therapie profitieren könnten. Ich weiß, dass es mühsam und frustrierend sein kann, erstmal überhaupt einen Therapeuten/eine passende Therapeutin zu finden und dann noch einen/eine, der/die auf Ihre Besonderheiten eingehen kann. Aber ein guter Therapeut kann auch Gold wert sein. Deswegen lohnt es sich vielleicht doch nochmal, die Fühler auszustrecken. Ich könnte mir vorstellen, dass Therapeuten mit zusätzlicher Ausbildung in Traumatherapie ein offeneres Ohr für sensiblere Patienten haben könnten. Und vielleicht, wenn das Ihre Finanzen zulassen, kann auch eine Körpertherapie, Musiktherapie oder auch Tiertherapie hilfreich sein.

Ich hoffe, da sind ein paar Ansätze für Sie dabei. Wenn noch etwas unklar ist oder Sie weitere Fragen haben, schreiben Sie mir gern unter meiner Email-Adresse: info@loesbar-online

Alles Gute für Sie und viele Grüße
Astrid Hiersekorn

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