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Katastrophen: Erleben und Verarbeiten

von Prof. Dr. Hans H. Bass.

Wie Menschen eine (Natur-)katastrophe erleben und sich in ihr verhalten, ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, unter anderem von der Dauer, der Wahrnehmbarkeit und den vorhandenen Erklärungsmöglichkeiten.

Faktoren, die Erleben und Verarbeiten von Katastrophen bestimmen

Menschen reagieren mit extremem Stress und hoher Anspannung bei punktuellen Katastrophen wie Erdbeben. Bei lang andauernden Katastrophen, etwa Dürreperioden, entstehen oft tiefe Depressionen. Die über zwei Jahre währende Corona-Pandemie hat bei vielen Menschen das Gefühl der „Zermürbung“ entstehen lassen.

Ein weiterer Aspekt ist die vorhandene oder nicht vorhandene Wahrnehmbarkeit der Ursachen einer Katastrophe. Bei einer Sturmflut sind die Ursachen und Gefahren sinnlich erkennbar. Auch bei Waldbränden kann man gegen einen wahrnehmbaren „Feind“ ankämpfen, dessen Wirkungsweise man versteht. Bei Atomunfällen oder einer durch Viren verursachten Pandemie ist die vorhandene, unter Umständen tödliche Gefahr mit den Sinnen nicht wahrnehmbar. Dies belässt die Menschen in starker Ungewissheit und Hilflosigkeit.

Gelegentlich werden sich anbahnende Katastrophen auch zu Spektakeln umgedeutet, etwa indem man „Corona Parties“ feiert. Viele Menschen erlitten erhebliche Schäden, weil sie die tatsächliche Gefahr unterschätzten. Möglicherweise ist das Bagatellisieren einer Katastrophe aber ein Schutzmechanismus, der der Angstreduktion dient.

Auch bei Naturkatastrophen gibt es Schuldzuweisungen – beispielsweise an soziale Außenseiter (wie die Juden, die im Mittelalter für die Pest verantwortlich gemacht wurden) oder an „finstere Mächte“ (wie die „globalen Eliten“, die von Verschwörungserzähler:innen für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht werden). Auch magische Welterklärungen können ein Weg sein, mit dem Unbegreiflichen klarzukommen.

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Kurz nach Naturkatastrophen oder technischen Umweltkatastrophen stehen unmittelbar Betroffene unter hohem Stress, empfinden oft extreme Angst, Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Möglich ist eine akute Belastungsreaktion von Krankheitswert. Laut ICD-10 handelt es sich bei einer akuten Belastungsreaktion (Code: F43.0, Quelle: DIMDI 2022) um eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickele. Das belastende Ereignis oder die andauernden, unangenehmen Umstände sind primäre und ausschlaggebende Kausalfaktoren, und die Störung wäre ohne ihre Einwirkung nicht entstanden. Die individuelle Vulnerabilität und die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen (Coping-Strategien) spielten jedoch bei Auftreten und Schweregrad der akuten Belastungsreaktionen eine Rolle.
Laut ICD-10 zeigt sich typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild der Symptome einer akuten Belastungsreaktion. Die Symptome erscheinen im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück:
  • beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit;
  • gefolgt möglicherweise von einem Sichzurückziehen aus der Umweltsituation
  • oder aber gefolgt von Unruhe und Überaktivität (wie Fluchtreaktion).
  • meist vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie (Herzrasen), Schwitzen und Erröten.
  • Teilweise oder vollständige Amnesie bezüglich dieser Episode könne vorkommen.
Welche Aufgaben kommen damit auf die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) zu? Zu unterscheiden sind: (1) Psychische erste Hilfe als psychosoziale, in der Ausbildung zu vermittelnde Basiskompetenz von Rettungskräften, (2) Kurzfristig und ereignisnah angebotene methodischstrukturierte psychosoziale Akuthilfen durch einsatzerfahrene („feldkompetente“) Mitarbeiter:innen aus Kriseninterventionsteams der Hilfsorganisationen und Notfallpsycholog:innen. Die Akuthilfen beinhalten die Bedürfnis- und Bedarfserhebung sowie die Vermittlung in das soziale Netzwerk (Familie, Freunde), in mittelfristige psychosoziale Hilfen oder in die ambulante bzw. stationäre psychosoziale, ggf. sozial-psychiatrische Versorgung. Nicht vergessen werden darf, dass psychologische Trainings und psychologische Nachbetreuung erforderlich sind, damit Rettungskräfte lernen, mit den Belastungen umzugehen.

Psychologisch relevante Sachverhalte nach einer Katastrophe

Die Erlebnisse während einer Katastrophe – Todesangst und extreme Hilflosigkeit – hinterlassen häufig langandauernde Störungen. Laut ICD-10 zeigt sich eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, Code: F43.1, Quelle: DIMDI 2022) als eine verzögerte oder über längere Zeit hinwegwirkende (protrahierte) Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann.
Zur Veranschaulichung des Erlebens einer Naturkatastrophe: NDR (2012), Die Sturmflut 1962 in Hamburg-Neuenfelde und Francop

Zum Weiterlesen

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) (2012), Psychosoziale Notfallversorgung: Qualitätsstandards und Leitlinien Teil I und II, Bonn.
Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), ICD-10-GM Version 2018.
Hellbrück, J., Kals, E. (2012). Umweltrisiken und Umweltkatastrophen. In: Umweltpsychologie. Basiswissen Psychologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Rohr, C. (2008), Naturkatastrophen als Gegenstand einer kulturgeschichtlich orientierten Umweltgeschichte. In: Historische Sozialkunde, 38 (2) Naturkatastrophen in der Geschichte Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung von extremen Naturereignissen in Risikokulturen, S. 2-13.




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