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PEGIDA: Warum und warum gerade jetzt?

 Norbert Prinz In diesem Beitrag geht es darum, warum ich mich als Psychotherapeut für einen unbedingten Flüchtlingsschutz ausspreche. Außerdem stelle ich eine Hypothese darüber auf, was Menschen dazu bewegen könnte, an den Pegidademonstrationen teilzunehmen. - von Norbert Prinz, Jan 2015
Ich bin zur Zeit, wie viele andere Menschen auch, beunruhigt über die nun regelmäßig stattfindenden PEGIDA-Demonstrationen in Dresden. Fast beängstigend finde ich die stetig steigenden Teilnehmerzahlen. Die meisten Fragestellungen, die sich damit verbinden, müssen sicher auf politischer Ebene beantwortet werden. In meiner Rolle als Psychotherapeut ist es mir aber wichtig, Stellung zu beziehen. Bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen, also Opfern jeglicher Art, muss ich mir die Fragen nach Recht und Unrecht und nach Opfer und Täter immer wieder stellen und beantworten. Dies ist notwendig, um angemessen mit traumatisierten Menschen arbeiten zu können.
Damit Flüchtlinge das notwendige Gefühl von Sicherheit wiedererlangen können, brauchen sie ein sicheres Umfeld. Dieses ist meines Erachtens nicht gegeben, wenn sie direkten oder indirekten Anfeindungen ausgesetzt sind. Ich bin davon überzeugt, dass diese Art der Nachtraumatisierung eine Heilung sehr stark negativ beeinflusst, beziehungsweise unmöglich macht. Ich kann mich daher nur für einen unbedingten Flüchtlingsschutz aussprechen.

Einige andere Fragen, die ich mir im Bezug auf die PEGIDA-Demonstrationen stelle, beziehen sich auf die Motive der Menschen, die jetzt so zahlreich auf die Straße gehen. Warum und warum gerade jetzt? Warum in Sachsen?

Nach meiner Erfahrung werden Menschen in der Regel erst dann aktiv, wenn sie persönlich von etwas betroffen sind. Wie kann ein so geringer Ausländeranteil, wie er in Sachsen vorherrscht, so eine persönliche Betroffenheit, ja Angst vor Überfremdung auslösen?

Der Ausländeranteil in Sachsen beträgt derzeit etwa 2,5 %, im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt von etwa 8,7 %. Muslime bilden dabei einen vergleichsweise geringen Anteil. Laut meiner Recherche befinden sich in Sachsen derzeit 12 Moscheen, demgegenüber stehen (wenn man das als unsere Kultur bezeichnen möchte) 765 evangelisch lutherische Landeskirchgemeinden, 97 katholische Pfarreien und eine unbestimmte Zahl an freikirchlichen Gemeinden.

Im Bezug zur persönlichen Betroffenheit hätte ja demzufolge die Einführung der HartzIV-Gesetze viel mehr Menschen auf die Straße bringen müssen als es tatsächlich der Fall war. Immerhin ging es da um eine direkte und spürbare Bedrohung der finanziellen Sicherheit von sehr vielen Menschen.

Welche kulturellen Werte sind eigentlich bedroht? Ich möchte jetzt nicht flapsig erscheinen und entschuldige mich schon mal im voraus für einen sicher sehr gewagten Gedankengang, aber: Handelt es sich da möglicherweise um eine Projektion diesbezüglich, dass alle Menschen, welche eine starke Kultur verkörpern als bedrohend erlebt werden, weil einem dann bewusst wird, dass man selbst sehr wenig „Kultur“ hat?

Die in Deutschland meist gegoogelten Suchbegriffe 2014 waren: WM 2014, Michael Schumacher, iPhone 6, Immobilienscout24, BSI Sicherheitstest, Robin Williams, Dschungelcamp 2014 und Conchita Wurst.

Das, womit ich mich beschäftige, macht auch meine Kultur aus. Wäre es dann nicht besser, die möglicherweise bestehende Leere sinnvoll zu füllen, als schutzsuchende Menschen vorschnell als Bedrohung zu verurteilen? Politisch und psychologisch betrachtet ist es viel leichter gegen etwas, als für etwas zu sein.

Natürlich sollte man im Angesicht einer tatsächlichen Bedrohung, wie beispielsweise dem Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris, Stellung beziehen und sich verteidigen. Ist aber eine solche Bedrohung durch muslimische Flüchtlinge tatsächlich vorhanden?

Einen anderen Aspekt berührt das Thema der Angst. Bei der Behandlung von Angsterkrankungen ist es eine wesentliche Aufgabe von Psychotherapie, unangemessene von angemessenen Ängsten zu unterscheiden. Ich könnte mir vorstellen, dass uns das Wesen der Angst und die Angstentstehung eine weitere Erklärung für das Phänomen der PEGIDA-Demonstrationen liefern könnte.

Ich möchte zum Abschluss noch einmal betonen, dass meine Gedanken sicher nur einen kleinen Teil der aufkommenden Fragen rund um die PEGIDA-Demonstrationen berühren. Andere Aspekte, wie beispielsweise die tatsächliche Bedrohung durch Terrororganisationen und die Rolle der Medien dürfen natürlich keinesfalls außer acht gelassen werden.




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