Navigation Psychomeda.de
Das Psychologie-Portal

Vom Selbsthass zur Selbstakzeptanz

Siska (w, 16) aus Niedersachsen: den Text den ich eigentlich geschrieben habe ist leider viel zu lang...also in mini...ich habe eine Tochter und gehe aufs Gymnasium in die 11. klasse...ich hasse mich und ekel mich vor mir selbst...ich tue immer auf stark und habe seit meinem 13 Geburtstag Selbstmordgedanken...ich tue immer auf stark, aber mittlerweile esse ich nix mehr, weil mein Magen bei Kleinigkeiten schon rebelliert... meine Fassade immer die starke zu sein geht momentan kaputt, weil ich so viel Stress habe, dass ich plötzlich anfange zu weinen, ich bin allein erziehend und habe auch keinen Freund, nur meine Eltern die sich ab und zu um die kleine kümmern...was kann ich tun um mich selber wieder zu akzeptieren?

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Hallo Siska,
gerne hätte ich den langen Text gelesen! Es gibt sicher viele Sorgen, viel Druck und viel Verzweiflung. Sie müssen schwer am Kämpfen sein. Gleichzeitig sehe ich eben darin so viel Leistung: Dass Sie das hinbekommen, trotz Ihres Selbsthasses, der Selbstmordgedanken, dem ganzen Stress in die Schule, dass Sie es hinbekommen in die Schule zu gehen, Ihre Tochter zu versorgen. Das ist zutiefst beeindruckend. Ich wäre in diesem Alter nicht zu halb so viel Verantwortung im Stande gewesen. Wenn ich das schreibe, fürchte ich aber zugleich, dass es da in Ihnen einen Teil gibt, der solche Anerkennung vielleicht nicht zulassen kann, der sie schnell entwertet. Gibt es so einen Teil? Falls ja, falls da so ein Innerer Entwerter da ist, hoffe ich, dass es vielleicht trotzdem ein kleiner Teil meiner Anerkennung, an diesem Entwerter vorbei, den Weg zu Ihnen schafft.
Sie haben ein wunderschönes Ziel: Sich selbst zu akzeptieren. Und gleichzeitig ist es ein großes Ziel, selbst wenn man keinen Selbsthass hat. Zumindest erlebe ich das so an mir selbst, den Menschen um mich herum und auch bei meinen Klienten. Damit es kein Missverständnis gibt: Ich meine nicht, dass es unerreichbar ist, ich meine nur, es ist ein wirklich schönes und gleichzeitig großes Ziel. Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrung mit großen Zielen ist. Meine ist die, dass man an großen Zielen leicht scheitert, weil einem schon beim Gedanken daran der Atem stockt und man sich sagt: Wie soll ich das nur schaffen? Wie um alles in der Welt soll ich da hinkommen? Ich vergleiche das gerne mit einer Bergtour. Man steht quasi unten im Tal und wünscht sich auf den Gipfel. Und man hat so ein gemischtes Gefühl. Es schaut großartig aus da oben und man ahnt, wie atemberaubend die Aussicht da oben sein muss. Gleichzeitig ist es so weit und man fühlt sich so verdammt klein da unten. Und dann ist es ja so, dass, so sehr man sich hinauf wünscht, man nicht einfach nach oben gebeamt wird. Auch wenn man sich noch sehr sehnt danach. Es bleibt einem nur der mühsame Weg. Schritt für Schritt. Viele Schritte. Im Vertrauen darauf, dass es oben großartig sein wird. Und das Gute dabei ist, dass man nicht erst ganz oben, ganz am Ende eine andere Aussicht hat. Je höher man kommt, desto mehr sieht man, desto beeindruckender wird die Landschaft. Möglicherweise ist Bergsteigen jetzt so gar nicht Ihr Ding, aber ich denke Sie verstehen, was ich meine. Zur Selbstakzeptanz ist es ein weiter Weg, mit vielen kleinen Schritten. Aber je weiter man kommt, desto freier wird man. Man belohnt sich schon beim Gehen. Möglicherweise noch nicht bei den ersten Schritten, aber es kommt bald, dass man merkt: Wow, da geschieht etwas Gutes. Verstehen Sie, was ich meine?
Die Frage könnte dann sein: Was sind erste kleine Schritte hin zu mehr Selbstakzeptanz? Was sind die ersten Schritte, um sich selbst schätzen zu können? Nun könnte ich Ihnen da diverse Tipps geben: Fragen Sie Leute, denen sie wirklich vertrauen, was Sie schätzen an Ihnen, machen Sie sich Listen von Dingen, die Sie an sich mögen, gewöhnen Sie sich an, in allem was Sie tun die Stärken zu suchen, die darin auch liegen, selbst dann, wenn Sie unzufrieden sind mit sich. Fragen Sie sich stets, aus welchem guten inneren Grund Sie die Dinge tun, denn Bedürfnisse, denen wir folgen, sind niemals schlecht. Und vieles mehr. Aber ich fürchte eben, dass es da in Ihnen einen mächtigen Gegenspieler gibt, der diese Schritte allesamt zunichtemachen könnte. Der Selbsthass, oder eben dieser Innere Entwerter. Ich denke, dass diese Teile in Ihnen offenbar sehr machtvoll sind und dass es passieren könnte, dass sie nicht zulassen, dass es Ihnen besser geht, dass Sie sich selbst mehr mögen. Könnte das so sein? Falls nicht, könnten Sie ja einfach losgehen. Aber falls ja, werden diese Teile versuchen Sie zu hindern. Sie werden Ihnen Dinge erzählen wie: Du hast es nicht verdient. Das ist keine Leistung, die Du vollbringst, das ist bestenfalls selbstverständlich. Du bist nichts wert, Du bist nichts Besonderes. Und vieles mehr. Es ist, als wollten Sie den Berg hinauf gehen, während zwei üble Gesellen an Ihren Armen baumeln. Möglicherweise beginnt Ihr Weg zum Gipfel also damit, diese beiden Gesellen los zu werden. Ihnen die Macht zu entziehen. Ihnen zu sagen, dass Sie ihnen keinen Einfluss mehr erlauben. Aber auch das ist überhaupt nicht leicht. Sie kämpfen ja schon so lange gegen diese Teile, die sind einfach verdammt stark. Siska, sie müssen eine sehr starke Person sein. Aber ich denke, manche Kämpfe kann man nicht alleine gewinnen. Ich denke, manchmal braucht man Unterstützung, um sich erst einmal zu befreien. Danach schafft man es auch wieder selbst. Sie könnten sich das erlauben, dass Sie sich Hilfe holen, dass Sie nicht alleine kämpfen. Möglicherweise schalten sich auch da die üblen Gesellen ein, denn wenn Sie das tun, dann sind Sie ja schon die ersten Schritte gegangen. Eigentlich sind Sie das ja schon mit Ihrer Mail an uns. Aber Sie würden dann einen wirklich großen Schritt machen und es kann sein, dass die da protestieren. Aber vielleicht finden Sie trotzdem einen Weg, sich das zu erlauben.
Konkret: Ich denke, der Weg zu Ihrem Ziel beginnt damit, die beständige innere Abwertung – und ich bin sicher dass es die gibt – zu beenden. Es ist wie eine Selbstsuggestion: So lange Sie innerlich von Selbsthass reden, so lange werden Sie keine Akzeptanz fühlen können. Meine Erfahrung ist, dass man da alleine nur sehr schwer heraus kommt. Und ich denke, man hat ein Recht darauf, hier unterstützt zu werden und Sie haben es gleich dreifach verdient. Wo könnten Sie Unterstützung bekommen? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sie könnten erst einmal eine Beratungsstelle aufsuchen. Die Termine sind in der Regel kostenlos, trotzdem arbeiten dort sehr erfahrene und kompetente KollegInnen. Dazu sollten Sie für Ihren Landkreis nach Ehe-, Familien- und Lebensberatung suchen. Meistens ist der Träger entweder eine der Kirchen oder der Landkreis selbst. Auch Erziehungsberatungsstellen kommen in Betracht. Ein guter Schritt könnte auch sein, beim Jugendamt um Unterstützung zu bitten. Das macht oft Angst, weil man denkt, dass man dort nur unter Druck gesetzt wird. Aber meine Erfahrung ist da eine andere. Wenn man um Unterstützung bittet, dann ist man keiner der Fälle, wo das Jugendamt Druck machen muss und man bekommt konkrete Unterstützung. Das wäre vielleicht wirklich hilfreich. Psychotherapie ist auch ein Weg und vielleicht ein unverzichtbarer. Möglicherweise haben Sie Bedenken, dass Ihre Eltern darauf nicht gut reagieren, dann könnten Sie das in so einer Beratungsstelle vielleicht zum Thema machen. Falls nicht, könnten Sie sich auch direkt um eine Psychotherapie bemühen. Dazu können Sie Ihren Hausarzt fragen, Bekannte, die Erfahrung gemacht haben und vielleicht Empfehlungen haben, oder Sie gehen auf die Seite der Kassenärztlichen Vereinigung (ich hänge unten den Link an), wo Sie freie Plätze in Ihrer Umgebung suchen können. Dort werden Sie gefragt, welche Therapieform. Wenn Sie dazu mehr wissen wollen, können Sie mich gerne noch mal kontaktieren (per Mail über mein Profil), oder, das wäre vielleicht am besten, Sie besprechen auch das bei einem Termin in der Beratungsstelle.
Also: Ein gutes Ziel. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich Hilfe nehmen, um es zu erreichen. Falls Sie das nicht möchten, wünsche ich Ihnen trotzdem, dass Sie es Schritt für Schritt schaffen, die Gesellen abzuschütteln und dem Gipfel näher zu kommen. Sie haben eine Menge Kraft offenbar. Aber trotzdem müssen Sie nicht alleine gehen.
Herzliche Grüße und alles Gute führ Ihren Weg!
Andreas Sczygiol





Online-Beratung

Auf Psychomeda beantworten Psychologen und Therapeuten Ihre Fragen unentgeltlich. Jetzt online Ihre Frage stellen...


Therapeuten

Zuletzt aufgerufene Therapeuten-Seiten. Therapeut, Coach, Berater? Eintragen...


Beliebt auf Psychomeda


TwitterSocial Feed



Folgen Sie uns auf Twitter


Qualität

Psychomeda ist ein unabhängiges psychologisches Informations- und Beratungsportal von Psychologen und Therapeuten. Wir informieren evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage. Weiter