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Zweifel und Zwangsgedanken

franky (m, 30) aus Hamburg: Hallo liebe Experten,

ich leide schon seit meiner Kindheit an Zwangsstörungen. Habe in dem Bereich alles an Störungen mitgemacht. In letzter Zeit kämpfe ich, bedingt durch viele Veränderungen (Job, Hochzeit, Schwagerschaft meiner Frau), mit extrem starken Zwangsgedanken. Dies hat mich auch dazu bewogen, mir einen Therapeuten zu suchen. Das Erstgespräch steht in einem Monat an.

Jetzt zu meinem derzeit akutem Problem, das mich von morgens bis abends beschäftigt. Durch die oben erwähnten Veränderungen, habe ich ein für mich derzeit perfektes Leben. Jetzt kommen aber die Zwangsgedanken zu den Verlustängsten. Ich habe einen sexuellen Traum (!) mit einer anderen Frau gehabt. Ich kann mich nie erinnern, meiner Freundin (jetzt Ehefrau) jemals fremdgegangen zu sein. Nun kommt aber mein Zwang und redet mir ein, dass ich es vielleicht verdrängt haben könnte. Ich mache mir seit Mitte Juli den ganzen Tag darüber Gedanken, ob ich aus Angst, meine Freundin zu verlieren, einen Seitensprung verdrängt habe, an den ich mich nicht mehr erinnern kann. Ist es möglich, sowas zu vedrängen, gerade wenn man an Zwängen leidet?

Ich kann mir das nicht vorstellen, weiß auch, dass das alles Quatsch ist. Die Zwangsgedanken machen mich wirklich richtig fertig in einer Zeit, in der ich überglücklich sein sollte. Ich habe meiner Frau alles, was hier steht, erzählt, da ich es nicht mehr ausgehalten habe. Sie war sehr verständnisvoll. Sie sagt, dass sie nicht glaubt, dass ich sie jemals betrügen könnte, geschweige denn einen Seitensprung verdrängen.

Vielen Dank

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Lieber franky,

danke für Ihre ausführliche und genaue Darstellung Ihrer Symptomatik. Sie beschreiben sehr eindrücklich das Phänomen der sogenannten 'Zwangsgedanken'. Dabei erlebt der Betroffene typischerweise die Angst, etwas 'schreckliches' getan haben zu können, ohne die Möglichkeit der realistischen Überprüfung.

Ebenso typisch ist in Ihrem Fall, daß es sich um ein emotional stark besetztes Thema handelt, nämlich die glückliche Beziehung zu Ihrer Frau, die durch das Thema 'Fremdgehen' konterkariert wird. Es scheint also beinahe so, als wolle 'etwas in Ihnen' ein notwendiges (?) 'Gegengewicht' zu Ihrem Glück herstellen.

Das Tückische an solchen Zwangsgedanken ist die Unmöglichkeit der Gewißheit. Es ist mittlerweile auch eine neurologische, d. h. organische Erkenntnis, daß das Gehirn praktisch nicht zwischen einer Vorstellung und einer tatsächlichen Erinnerung unterscheiden kann. Diese ubiquitäre, d. h. bei allen Menschen vorhandene Tatsache gerät bei Personen mit Zwangsneigung nun ins Zentrum und kann 'nicht mehr verlassen' werden. Letzten Endes fehlt das Vertrauen in sich selbst, das Vertrauen darin, Dinge seien 'einfach in Ordnung'.

Tiefenpsychologisch bedeutet 'Zwang' das 'Festgehaltensein' mit aller Ambivalenz: Die Notwendigkeit 'Boden unter den Füßen zu spüren', 'Tatsachen zu betrachten', 'sicher zu sein' usw. Die relative Unmöglichkeit all dieser (vermeintlichen) Sicherheiten treibt die zwanghafte Person um, meistens auffällig kombiniert mit dem Themenkomplex 'Abhängigkeit & Autonomie', auch hier wieder die Frage: 'Wie sehr brauche ich andere, die mich bestätigen, und wie sehr brauche ich Freiraum?'.

Insofern wird es wahrscheinlich Ihre größte Aufgabe sein, Vertrauen in sich selbst zu entwickeln oder auch - Gelassenheit! Die Vorstellung, 'es wird schon alles richtig gewesen sein, so oder so...' mag Ihnen jetzt absurd oder sogar erschreckend vorkommen, könnte aber den notwendigen Ausgleich zu Ihrer augenblicklichen Situation darstellen. Erst wenn Sie dieses Vertrauen in sich selbst gefunden haben (es ist schon da, Sie sehen es nur noch nicht), werden Sie auch den Personen Ihrer Umwelt vertrauen können, z. B. Ihrer Frau, die Sie im Augenblick anscheinend eher erfolglos zu bestätigen versucht.

Daß Sie sich zu einer Therapie entschlossen haben, verdient Hochachtung und zeigt, daß Sie durchaus willens sind, Ihre Lage zu verändern. Geben Sie sich die Zeit, und betrachten Sie sich ganz genau, dann haben Sie in einem Monat bereits Ideen und Motive, die Sie gemeinsam mit Ihrem Therapeuten bearbeiten können.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Holger Nikolai
- Heilpraktiker f. Psychotherapie -
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