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Meine beste Freundin hat ein Ritzproblem

livelife (w, 14) aus Bergisch Gladbach: Hallo!
Ich fange direkt mal an.
Nun, es ist so, dass meine beste Freundin echt viele Probleme in ihrer Familie hat und sich zurzeit auch ihre Freundinnen von ihr entfernen und untereinander viel mehr miteinander unternehmen. Deshalb hat sie jetzt angefangen sich zu ritzen. Nicht besonders tief, aber dass sie das überhaupt als Ausweg sieht…. Und dann hat sie eine Bandage über ihr Handgelenk gezogen und hat gesagt, dass sie umgeknickt ist oder so. Ich weiß echt nicht, was ich jetzt machen soll, weil ich mich etwas informiert habe und ich jetzt ziemlich verunsichert bin, weil ich gelesen habe, dass man den Betroffenen das Ritzen auf keinen Fall verbieten sollte oder so ähnlich. Meine Ideen wären jetzt gewesen, ihr Selbstwertgefühl aufzubauen und zu stärken und ihr zu sagen, dass sie ihre Gefühle mal aufschreiben soll und wir dann zusammen nach Lösungen suchen.
Was sagt ihr dazu? Was sollte ich tun? Wie kann ich ihr bei dem Thema Ritzen helfen?

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Livelife,

ich möchte mich im Namen vom Psychomeda-Team sehr herzlich für dein Vertrauen bedanken, das du uns schenkst. Schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast und dir Unterstützung für dein Anliegen holen möchtest. Es ist nicht immer ganz leicht um Hilfe zu bitten, du hast den ersten Schritt bereits getan, und dafür möchte ich dich ganz aufrichtig loben!
Ich möchte dir gerne dabei helfen, deine Unsicherheit, was das Thema 'Ritzen' angeht, etwas abzubauen und dir einige Wege aufzeigen, wie du deiner Freundin helfen kannst.

Ich finde es sehr lobenswert und verantwortungsbewusst von dir, dass du dich schon mal über das Thema informiert hast und somit einen kleinen Einblick bekommen konntest. Das ist wirklich super von dir!

Doch beginnen wir mal Schritt für Schritt das Thema zu beleuchten:

Ritzen ist ein sehr komplexes Thema, und wie du ja auch selber schon bemerkt hast, sehen es die Betroffenen meist als einzigen Ausweg um mit ihren Probleme klarzukommen. Im fortgeschrittenen Stadium ist es oft so, dass dies die einzige Möglichkeit für sie ist, um an ihre Gefühle heranzukommen. Damit meine ich, dass sie sich nur noch fühlen können, indem sie sich ritzen und somit Schmerzen, also ein Gefühl, verspüren. Aber nach deinen Schilderungen habe ich den Eindruck, dass deine Freundin davon noch weit entfernt ist. Du schreibst, dass sie sich nicht tief ritzt und auch noch nicht so lange dabei ist. Und genau an diesem Punkt sehe ich eine sehr große Chance für sie, und da finde ich auch deine eigenen Lösungsansätze großartig:

1. Ihr Selbstwertgefühl aufbauen und stärken. Das kann man erreichen, indem du sie aufforderst sich mit gerader Haltung vor einen Spiegel zu stellen und sich zu sagen: 'Ich (ihr Name) bin liebenswert und wertvoll, genau so wie ich gerade bin.'
Diese Übung sollte sie jedoch mehrmals am Tag machen. Es kann gut sein, dass ihr das am Anfang schwerfällt, mit der Zeit wird es jedoch immer besser.

2. Eine Positivliste anlegen. Diese Übung kannst du auch sehr gut mit ihr zusammen durchführen, dann macht es ihr vielleicht ein bisschen mehr Spaß, denn gemeinsam übt es sich leichter. Ihr könnt euch auch, jeder für sich, ein kleines Notizbuch nehmen und dort jeden Tag drei positive Ereignisse, die euch widerfahren sind, hineinschreiben. Das dürfen auch gerne sehr belanglose Dinge sein, wie z.B. heute hat
mich der Sonnenstrahl, der in mein Zimmer eingefallen ist, geweckt. Wichtig ist nur, dass es positive Dinge sind.

3. Gefühle aufschreiben. Die Idee von dir finde ich sehr gut, denn manchmal ist man sich seiner eigenen Gefühle gar nicht so richtig bewusst. Erst beim Aufschreiben merkt man, wo die eigentlichen Probleme
sind. Von daher würde ich sie auf jeden Fall dazu ermutigen, dies zu tun.

Liebe Livelife, bis jetzt haben wir erstmal nur über die gefühlsmäßige Seite des Ritzens geschrieben, die du selber schon sehr gut erfasst hattest.

Es gibt jedoch auch noch eine praktische oder nennen wir sie lieber technische Seite des Ritzens, und auch da bist du schon sehr gut informiert. Es ist nämlich richtig, dass man den Betroffenen das Ritzen nicht verbieten, sondern ihnen Skills und Tools aufzeigen sollte. Damit meine ich konkret, dass du deiner Freundin anbietest, dass sie dich anrufen darf, wenn der Ritzdruck wieder einmal sehr stark ist, denn das Reden kann sie vielleicht davon abhalten. Außerdem gibt es spezielle Gummis oder auch Knete, die die Betroffenen bei großem Druck bearbeiten können, und sie somit vom Ritzen ablenken. Manchmal hilft es auch, indem man beim Druck auf einer Chillischote kaut.
Wie du siehst gibt es so einige Mittel, man sollte für sich selber ausprobieren, was einem am besten hilft. Auch da kannst du offen mit deiner Freundin reden und sie beraten.

Du kannst jedoch auch gerne mal im Internet schauen, ob es in eurer Stadt oder Umgebung Selbsthilfegruppen für Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten (SVV), so nennt man das, gibt, denn manchmal fühlt man sich in einer Gruppe gut aufgehoben. Vielleicht wäre eine Psychotherapie für deine Freundin auch ganz ratsam, denn du erwähntest eingangs, dass sie familiäre Probleme hat. Wenn sie nämlich zu einem Therapeuten Vertrauen gefasst hat, wäre das eine sehr gute Sache für sie.


Ich hoffe jedenfalls sehr, liebe Livelife, dass ich dir ein wenig helfen konnte. Ich wünsche dir alles Gute mit deiner Freundin. Wenn du noch Fragen hast, darfst du dich gerne wieder an mich wenden.

Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich bewerten würdest, und ich bedanke mich schon jetzt dafür.

Viele Grüße
Annette Jung






Bewertung:
Die Antwort war sehr hilfreich und hat genau die Frage sehr treffend beantwortet, die ich hatte. Sehr gut insgesamt.

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