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Familienkonflikte und selbstverletzendes Verhalten

Sarah (w, 26) aus Mandelbachtal: Hallo,
meine jüngere Schwester ritzt sich seit einiger Zeit. Mein Vater hat es eher durch Zufall entdeckt und dann gab es zu Hause einen riesen Streit. Ich wohne nicht mehr zu Hause. Meine Mutter hat mich angerufen und ich bin hin gefahren, um mich mit meiner Schwester zu unterhalten aber an sie ist kein rankommen. Sie sagt, wenn sie sich ritzt ist alles besser. Meine Eltern und meine Schwester haben oft Streit. Meine Schwester beschimpft meine Eltern, rastet regelmäßig völlig aus und hat auch schon mehrmals versucht abzuhauen. Wenn meine Eltern dann fragen warum, zuckt sie nur mit den Schultern, so als ob sie es selbst nicht weiß. Meine Mutter ist mittlerweile nervlich am Ende und mein Vater weiß nicht mit der Situation umzugehen und reagiert meist gereizt. Meine Schwester provoziert ihn dann, er solle sie doch schlagen, darauf lässt er sich aber nicht ein. Seit einem Monat gehen sie alle drei in eine Familientherapie, aber statt besser wird es nur schlimmer. Meine Mutter droht nun damit meine Schwester in ein betreutes Wohnen zu schicken, weil sie nicht mehr weiter weiß. Ich mache mir wirklich Sorgen. Meine Mutter tut mir so leid und ich habe Angst, dass meine Schwester sich das Leben versaut wenn sie so weiter macht. Sie ist jetzt 14 Jahre alt schreibt in der Schule nur noch schlechte Noten, raucht und kümmert sich um nichts. Keine Hilfe im Haushalt, kein Zimmer aufräumen. Ich mache mir Sorgen um meine Familie.

Vielen Dank für ihre Hilfe

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Sarah,
ich kann sehr gut verstehen, dass Sie besorgt sind und die familiäre Situation Sie belastet, obwohl Sie nicht mehr zu Hause wohnen.
Ihre jüngere Schwester scheint ein großes inneres Leid zu erleben. Häufig brechen in der Pubertät tiefe Konflikte in den jungen Menschen auf, die mit den Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Entwicklung der eigenen Rollenidentität, der Abgrenzung von den Eltern etc. zu tun haben. Sie werden sich sicher noch an Ihre eigene Pubertät erinnern können und wissen, dass dies keine einfache Zeit ist und insbesondere auch eine Zeit in der es oft viele Konflikte mit den Eltern gibt und auch Grenzüberschreitungen, was das Verhalten des Jugendlichen betrifft.
Ihre Schwester zeigt nun ein besonders intensives Verhalten und die Selbstverletzungen deuten darauf hin, unter wieviel inneren Druck Ihre Schwester steht. Die Aussage Ihrer Schwester „wenn sie ritzt ist alles besser“ können Sie so verstehen, dass das Ritzen eine Art Ventil ist, um inneren Druck abzubauen, zusätzlich beinhaltet es immer auch einen Hilfeschrei und häufig ist es auch ein Ausdruck von Wut und Ohnmacht. Ihre Schwester weiß vermutlich gerade keinen anderen Weg, doch trotzdem ist es wichtig und notwendig, dass sie lernt ihre Gefühle auf eine andere Weise auszudrücken und zu regulieren.
Wenn Ihre Eltern Ihre Schwester nach dem „Warum“ für ihr Verhalten fragen, bringen sie das Mädchen damit in eine Erklärungsnot, ein „Warum“ fragt immer nach Rechtfertigung und bleibt auf einer abstrakten Ebene, spricht jedoch nicht die Empfindungen und Gefühle an. Es ist möglich, dass Ihre Schwester sich dadurch in die Ecke gedrängt fühlt und daher gar nicht darauf antworten kann.
Ihre Schilderung der familiären Situation erweckt für mich den Eindruck, als würde Ihre Schwester es fast darauf anlegen, durch ihr Verhalten Ablehnung zu erleben, die Reaktion Ihrer Mutter, sie möglicherweise in ein betreutes Wohnen zu geben, weist darauf hin, dass ihre Schwester genau diese Zurückweisung durch Ihr Verhalten erreicht. Sie verhält sich mit ziemlicher Sicherheit unbewusst so, doch möglicherweise hat sie tief in sich das Gefühl, nicht liebenswert zu sein oder fühlt sich ungeliebt. Darüber kann ich selbstverständlich nur mutmaßen, da ich weder Ihre Schwester noch Ihre familiäre Situation wirklich kenne.
Sie schreiben, dass sie versucht haben mit ihrer Schwester zu reden und gleichzeitig insbesondere ihre Mutter ihnen sehr leid tut. Sie selbst befinden sich dadurch in einer ziemlichen Zwickmühle, da Sie versuchen für beide Verständnis aufzubringen und hilfreich sein möchten. Ich denke es ist sehr wichtig, dass Sie die Situation nicht nur von außen betrachten, sondern sich insbesondere auch Ihrer eigenen Gefühle bewusst werden und nachspüren, was diese familiäre Situation mit Ihnen macht.
Ein Familienmitglied, das solche Probleme zeigt, wie Ihre Schwester es gerade tut ist oftmals ein Symptomträger für die gesamte Familie. Dies bedeutet möglicherweise, dass Ihre Schwester unbewusst durch ihr Verhalten auf ungelöste Familienkonflikte hinweist. Allerdings ist dies nur eine Möglichkeit, es kann auch ganz andere Gründe für das Verhalten Ihrer Schwester geben.
Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie selbst auch an der Familientherapie teilnehmen. Es ist gut, dass Ihre Familie den Weg geht, Unterstützung in Form einer Familientherapie anzunehmen. Das Gefühl, es würde dadurch eher schlimmer als besser, kann damit zusammenhängen, dass durch die Therapie nun die Themen und Gefühle „auf den Tisch“ kommen, die vorher unterdrückt wurden. Dadurch kommt es oftmals zunächst zu einer Verschlechterung bis es besser wird, dies ist auch in anderen Therapien oftmals so. Es kann aber auch sein, dass die gewählte Therapiemethode oder die Zusammenarbeit mit dem Profi nicht das Richtige für die Beteiligten ist. Ich empfehle Ihrer Familie in der Therapie unbedingt anzusprechen, wie es ihnen seit Therapiebeginn geht, nur so bekommt der Therapeut die Möglichkeit den Prozess zu begleiten. Da Ihre Schwester schon einen großen Leidensdruck zum Ausdruck bringt, ist möglicherweise eine zusätzliche Einzeltherapie für sie hilfreich. Denken Sie bitte nicht, dass Ihre Schwester sich das Leben versaut, sie ist erst 14 und gerade in einer Entwicklungskrise und wenn sie jetzt Hilfe bei der Bewältigung bekommt wird sie ihren Weg weiter gehen können. Ich verstehe Ihre Besorgnis, dennoch wünsche ich Ihnen, dass Sie diese Krise Ihrer Schwester als Entwicklungschance begreifen.
Zu guter Letzt möchte ich Sie, die sich mit dieser Problematik an uns gewandt hat bitten und ermutigen: gehen Sie bitte mit sich selbst achtsam und gut um, achten Sie auf Ihre eigenen Gefühle holen Sie sich ggf. Unterstützung im Freundeskreis oder einer Beratung. Für mich ist spürbar, wie betroffen Sie diese Situation macht und Sie sind ein Teil Ihrer Familie auch wenn Sie schon erwachsen sind und nicht mehr zu Hause leben.
Ich wünschen Ihnen und Ihrer Familie alles Gute und hoffe Sie alle finden einen Weg, um wieder liebevoller miteinander umzugehen und diese Krise zu bewältigen.
Herzliche Grüße
Nicole Kirsig
Heilpraktikerin für Psychotherapie
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