Navigation Psychomeda.de
Das Psychologie-Portal

Schizophrenie und Halluzinationen eines Freundes

einFreund (m, 27) aus NRW: Hallo!

Ich mache mir gerade große Sorgen um meinen besten Freund. Vor gut zehn Jahren wurde bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Diese macht sich bei ihm sowohl durch dauerhafte akustische und optische Halluzinationen bemerkbar. Er war oft für längere Zeit in stationärer Behandlung, wo alles an Medikamentenkombinationen versucht wurde, um ihm zu helfen.

Leider waren alle Versuche - genau wie eine EKT-Behandlung - erfolglos. Er muss jeden Tag mit den Halluzinationen leben, jeden Tag kämpfen! Er macht das tapfer und bewundernswert. Gestern hatte er eine Therapiesitzung und es zum ersten Mal geschafft, dort auch von taktilen Halluzinationen zu sprechen, die er erlebt. Die sind so unangenehm, dass er von ihnen bis jetzt nicht sprechen konnte und 'durfte'! Durch diese neue Erkenntnis, dieses so reale Empfinden meines Freundes, hat seine Therapeutin keinen Rat mehr gewusst und auch die Diagnose infrage gestellt... und leider meinen Freund damit allein gelassen!

Er hat mir das alles erzählt und ist einfach total durcheinander, will irgendwie nicht mehr. Ich möchte ihm irgendwie helfen, aber weiß nicht, wie. Auch die Frage nach der Diagnose wirft sich auf. Gibt es eine psychische Störung, bei der akustische, optische und eben auch taktile Halluzinationen zusammen und im Zusammenhang auftreten? Gibt es vielleicht jemanden, an den ich mich wenden kann, um meinem Freund Hilfe zu verschaffen? Mache mir wirklich große Sorgen.

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Lieber einFreund,

vielen Dank für Ihre ausführliche Beschreibung und dafür, daß Sie sich seit so langem um Ihren Freund sorgen. Das kommt leider selten vor, denn Schizophrene stellen häufig eine große 'Herausforderung' für ihre Umwelt dar und diese zieht sich dann entsprechend immer weiter zurück, was die Symptomatik oft noch verschärft. Ihr Engagement ist Ihnen hoch anzurechnen!

Am Verlauf der Störung bei Ihrem Freund gibt es viele typische Anzeichen für eine sogenannte paranoid-halluzinatorische Schizophrenie, wie auch einige 'Ungewöhnlichkeiten'. Das Auftreten multipler Halluzinationen, die alle Sinnesbereiche umfassen und auch inhaltlich aufeinander bezogen sind, ist durchaus typisch für diese Form der Schizophrenie. Daß seine Therapeutin aufgrund der taktilen Halluzinationen die Diagnose infrage stellt und ihn mit dem Empfinden 'alleine läßt', das hört sich für mich sehr untypisch und schwer nachvollziehbar an. Ist es möglich, daß an diesem Teil Ihrer Schilderung Mißverständnisse vorliegen oder Informationen fehlen?

Schwere Formen von Schizophrenie, bei denen weder medikamentöse Therapien, noch EKT (Elektro-Konvulsions-Therapie) helfen, sind sehr selten, zumal über einen Zeitraum von über zehn Jahren. Sogenannte 'produktive Symptome', also Wahn und Halluzination treten typischerweise episodisch, also für einen Zeitraum von Wochen bis Monaten auf, und klingen dann für eine Weile wieder ab. Daß Ihr Freund seit Jahren 'jeden Tag' Halluzinationen erlebt, ist ungewöhnlich. Bei einer solchen Dauer und Schwere wäre zu erwarten, daß Ihr Freund sich bereits in einem 'Residuum' befinden müßte, also einem Zustand von Apathie und Unzugänglichkeit, verbunden mit Rückzug und emotionaler Verflachung.

Die Schizophrenie ist allerdings eine Störung, die mit unglaublich vielen Symptomen und unterschiedlichen Verlaufsformen auftreten kann, aber auch recht gut beschrieben und erforscht ist (wenn auch bis heute niemand sagen kann, woher sie eigentlich kommt).

Sie selbst können sich an die 'Angehörigen psychisch Kranker' wenden (einfach mit Ihrem Wohnort googlen). Dort erhalten Sie Informationen, wie Sie als Freund am besten mit einer schizophrenen Person umgehen können bzw. wie auch Sie Entlastung erfahren können. Das wichtigste für Bezugspersonen ist zum einen die Orientierung an der Realität im Umgang mit dem Schizophrenen ('wir sind jetzt HIER und machen gerade DAS...') und die Vermeidung 'unnötiger' Emotionalität, d. h. Aufregung, Anschuldigungen, Ungeduld etc. Auch abstrakte Gedankenspiele, Ironie, Zweideutigkeiten, Sprichwörter etc. sollten im Umgang unterbleiben.

Falls möglich, setzen Sie sich bitte auch mit seiner Familie oder mit den behandelnden Ärzten in Verbindung und bitten um genauere Informationen, wie Verlauf und Prognose der Schizophrenie Ihres Freundes einzuschätzen sind.

Im Augenblick wünsche ich Ihnen Geduld und Durchhaltevermögen und freue mich für Ihren Freund, daß er einen so aufmerksamen Begleiter hat!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Holger Nikolai
Bewertung durch den Fragensteller:
Eine wirklich gute und ausführliche Antwort!





Online-Beratung

Auf Psychomeda beantworten Psychologen und Therapeuten Ihre Fragen unentgeltlich. Jetzt online Ihre Frage stellen...


Therapeuten

Zuletzt aufgerufene Therapeuten-Seiten. Therapeut, Coach, Berater? Eintragen...


Beliebt auf Psychomeda


TwitterSocial Feed



Folgen Sie uns auf Twitter


Qualität

Psychomeda ist ein unabhängiges psychologisches Informations- und Beratungsportal von Psychologen und Therapeuten. Wir informieren evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage. Weiter