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Wie kommen wir in Kontakt mit unserer Mutter?

oma26 (w, 50) aus Günzburg: Hallo, unsere Mama war zeit ihres Lebens eine harte und gefühlskalte Frau. Unser Vater ist schon sehr früh freiwillig aus dem Leben geschieden und so hat sie uns mit Hilfe unserer Großeltern aufgezogen und konnte berufstätig ein. Der glückliche Zufall wollte es, dass sie einen sehr liebenswürdigen Mann kennengelernt hat, der fast 25 Jahre an ihrer Seite war bis er vor vier Jahren plötzlich verstarb. Trauer und Trauerbewältigung war nicht und so wurde unsere Mutter immer härter und immer schwieriger. Der ganze Freundeskreis hat sich mittlerweile von ihr abgewandt, da sie fast alle durch ihre hartherzige Art verkrault hat. Seit einiger Zeit nun leidet unsere Mutter, die nie eine Krankheit zugelassen hat, sich furchtbar vor Kranken und alten Menschen ekelt und eigentlich bisher ganz fitt war unter Gelenkbeschwerden im Knie und in der Schulter.
Eine Schulter-OP steht an. Seit ungefähr einem halben Jahr wird sie nun immer sonderbarer, egozentrischer und wirkt manchmal abwesend, der Welt entrückt und sehr traurig. Wir wissen nicht mehr weiter und fragen uns, wie wir (3 Schwestern) damit umgehen können und was wir unbedingt machen sollten.
Ein vernünftiges Gespräch wird sie sicherlich von vorn herein abblocken, denn nach ihrer Meinung, hat das ganze Leben für sie nur schlechte Seiten, die bereits mit der Geburt der ältesten Tochter begannen und ihr Unglück seid dem immerzu wächst.
Unsere Frage ist nun, was sie uns konkret raten zu tun und wie wir das Problem angehen sollen.
Vielen herzlichen Dank!

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Guten Tag liebe Interessentin,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die Sie ja scheinbar auch im Namen ihrer beiden Schwestern an uns gerichtet haben.

Sie berichten mir, Ihre Mutter sie gefühlskalt und hartherzig. Ich lese aus der Schilderung, dass Ihre Mutter Schicksalsschläge im Leben gemeistert hat und sicherlich auch von diesen geprägt wurde. Ihr Vater hat nach Ihren Angaben Selbstmord begangen. Wenn ich alles richtig deute, ist Ihre Mutter auf jeden Fall über 70 Jahre alt. Also kommt sie aus einer Zeit, in der es noch wesentlich verpönter gewesen ist und die Schuld für die „Sünde“ meist bei den Angehörigen gesucht wurde. Auch wenn dies vielleicht nicht in Worte gefasst wurde, ist unterschwellig der Vorwurf, warum eine Ehefrau nicht in der Lage ist, ihren Mann „im Leben zu halten“ gegeben. Diesen Vorwurf machen sich Hinterbliebene auch selber oft genug. Oder sie fragen sich, ob sie ihrem Partner nicht genügt haben und er deswegen gegangen ist. Die wenigsten Menschen sehen es wie es ist – der Suizident liebt das Leben nicht mehr. Das bedeutet nicht, dass er seine Familie nicht mehr liebt. Meist kommt sie in seiner Gedankenwelt nicht mehr vor. Aber dies ist ein weiteres umfassendes Feld, nachdem Sie nicht konkret gefragt haben. Es kann aber einen Teil der Wesensbildung Ihrer Mutter ausmachen.
Dann hat sie das Glück, dass Ihre Großeltern ihr helfen. Dies hat sicherlich aber auch einen „Preis“ gehabt. Ihre Mutter hat sich damit auch in eine Abhängigkeit gegeben.
Ob es der Zufall war, der Ihre Mutter mit dem lieben Mann zusammen gebracht hat oder was auch immer. Sie hatte scheinbar 25 gute Jahre mit ihm. Aber auch er ist dann – plötzlich – gestorben.
Sie schreiben nichts darüber, wie ihre Großeltern gestorben sind.
Ihre Mutter hat sicherlich zwei Männer schmerzvoll verloren. Verluste, die es erst einmal zu betrauern gilt. Sie sagen, diese Trauer hätte nie stattgefunden. Vielleicht hat Ihre Mutter sich beim Suizid Ihres Vaters keine Trauer zugestanden, weil sie sich verantwortlich fühlte. Dies ist eine Hypothese.
Wenn man nahestehende Menschen unverhofft verliert und dies nicht adäquat verarbeiten kann, kann es sein, dass man eine Verlustangst entwickelt. Warum sollte man sich an andere Menschen emotional binden und eine tiefe innige Beziehung zu ihnen aufbauen? Um sie dann „auch noch“ zu verlieren? Es kann für den ein oder anderen leichter sein, Menschen auf Distanz zu halten, um diesen Schmerz nicht noch einmal erleben zu müssen. Wenn man nur abweisende genug ist, wenden sich früher oder später auch die Bekannten und Freunde ab. Das muss nicht auf der bewussten Ebene ablaufen, das kann vom Unterbewusstsein gesteuert sein.
Es scheint, als wäre das Thema Tod für Ihre Mutter belastend. Alter und Krankheit sind Themen, die sehr eng mit dem Thema Tod verwoben sind. Es dürfte sehr schwer fallen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen, wenn man dies nicht mal mit der Endlichkeit naher Menschen kann.

Wenn ich Ihre Anfrage aber richtig lese, haben Sie (und Ihre Schwestern) das Gespräch mit Ihrer Mutter noch nicht gesucht, da Sie davon ausgehen, dass sie „ein vernünftiges Gespräch von vornherein abblocken“ werde.

Es stellt sich zu allererst die Frage, was Sie mit dem Gespräch bezwecken möchten. Wollen Sie das Thema der OP ansprechen? Ihre Kaltherzigkeit? Ihre Traurigkeit? Haben denn alle drei Schwestern das gleiche Ziel und Interesse in Bezug auf ein Gespräch?

Ich könnte mir vorstellen, dass es für Ihre Mutter gut wäre zu erfahren, wie Sie zu ihr stehen. Dass Sie sich sorgen und sehen, dass sie immer trauriger wird und sich zurückzieht. Wenn Sie Ihrer Mutter offen begegnen können und sie nicht dafür verurteilen, wie sie ist, wird ihr das Sicherheit geben. Wenn dies erst einmal zu Beginn festgestellt wird und auch das Traurig-sein nicht verurteilt wird, fühlt sie sich sicherlich von ihren Töchtern angenommen. Vielleicht trauert sie jetzt für alles, was sie vorher nicht betrauern konnte. Sagen Sie ihr, dass Sie gerne im Kontakt mit ihr wären, dass es Ihnen aber sehr schwer fällt, weil Sie den Eindruck haben, sie zöge sich zurück. Das ist ja eine subjektive Einschätzung von Ihnen. Vielleicht sieht Ihre Mutter das völlig anders.

Es werden aber immer Spekulationen bleiben, wenn Sie nicht mit ihr darüber sprechen.

Sofern Ihre Mutter sich darüber im Klaren ist, dass sie von ihrer Umwelt als kaltherzig und egozentrisch eingeschätzt wird, hat sie vielleicht nicht den Mut, sich nun zu öffnen oder sie geht davon aus, es würde ihr nicht zustehen, nun mit ihren Sorgen und Ängsten an sie zu treten. Vielleicht macht sie sich sogar Vorwürfe, ihren Töchtern nicht genug gegeben zu haben. Das kann alles nur vermutet werden. Es kann hilfreich sein, wenn sich die Kinder von Herzen bei den Eltern dafür bedanken, dass sie einem das Leben geschenkt haben. Wenn Eltern glauben, sie hätten einem nichts geben können, irren sie. Das Leben ist wohl weit mehr als „nichts“.

Suchen Sie ruhig das Gespräch mit Ihrer Mutter. Sie werden ihr keine Vorschriften machen können. Schildern Sie ihr, was Sie und Ihre Schwestern beobachten, sagen sie ihr, was sie ängstigt und sorgt. Versuchen Sie zu akzeptieren, wenn Ihre Mutter an ihrer Lebenssituation nicht ändern möchte. Vielleicht stellt sie sich für Ihre Mutter gar nicht so schlecht dar. Vermeiden Sie alle „hättest du“ und „du solltest“ und „du müsstest“. Dies sind alles Vorwürfe, die sicherlich nicht zu einem guten Ergebnis führen werden und Sie Ihrer Mutter nicht näher bringen werden.
Erwarten Sie keine Wunder durch ein einziges Gespräch. Hier ist über viele Jahre ein Verhalten und auch ein Miteinander von allen Beteiligten geprägt worden, dass sich nicht innerhalb kurzer Zeit verändern lässt.
Wenn aber von allen die Bereitschaft vorhanden ist, ist der Beginn der erste wichtige Schritt.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich mit den Gefühlen Ihrer Mutter verbinden können und dass dieser Prozess auch ein gutes Miteinander unter den drei Schwestern fördert oder erhält.

Alles Gute!
Tatjana Hartmann-Odemer
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Systemische Beratung
68775 Ketsch
Bewertung durch den Fragensteller:





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