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Welche Pflichten habe ich meinen Eltern gegenüber - nach allem was passiert ist?

Andrew (m, 26) aus Berlin: Hallo liebes Team,

ich heiße Andi und bin 26 Jahre. Eventuell ist es von Vorteil wenn Sie zudem wissen in welcher Branche ich tätig bin - ich bin Erzieher. Aufgewachsen bin ich auf dem Lande wo ich größtenteils eine wunderbare Kindheit hatte. Zudem habe ich einen Bruder der 6 Jahre älter ist. Meinen Bruder habe ich aber erst im Alter von 10 Jahren so richtig kennengelernt. Davor nur sporadisch in den Sommerferien. Er ist bei meinen Großeltern aufgewachsen. Nun zu meinem Problem. Auch wenn meine Eltern sich immer um mich gekümmert haben, so war Gewalt immer ein zentrales Thema. Zu meinem Bruder habe ich bzw. konnte ich keine Beziehung aufbauen obwohl er, nachdem er kam, jahrelang in dem selben Haushalt wohnte wie wir auch. Je älter ich wurde so tiefer hinterfragte ich unsere familiäre Geschichte. Nun bin ich an dem heutigen Tag angekommen, nicht wissend wie es weitergehen soll. Es beläuft sich auf meine Eltern. Ich kann Ihnen nicht mehr gegenüber treten jetzt wissend was alles war und der nötigen Reife es zu reflektieren. Ich habe die Pflicht als Sohn gegenüber meinen Eltern. Kann diese aber nicht ausüben, da ich ihnen gegenüber negative Gefühle empfinde. Eltern als Freunde anzusehen ging auch nicht. Wie werde ich Herr meiner Situation als Sohn? Wie gehe ich mit den ambivalenten Gefühlen um?

Vielen Dank für Ihre Hilfe

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Lieber Andrew,
Aus Ihrer Frage geht deutlich hervor, dass Sie sich schon gut mit Ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt haben, mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsgefühl. Damit sind Sie schon mal auf dem richtigen Weg, die eigenen Verletzungen von früher zu verstehen, vielleicht auch irgendwann einmal heilen zu lassen. Das ist vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selbst, wobei Ihnen eventuell auch ein Stück Psychotherapie helfen würde. Dazu ist nicht zwingend nötig, Ihre Eltern damit zu konfrontieren oder zu versuchen, dass diese sich ändern oder ihre vergangenen Fehler einsehen; dasselbe würde für Ihren Bruder gelten.
Sie nennen keine Details, aber ich kann mir schon etwas darunter vorstellen (solche Details würden hier auch gar nicht hin passen, eher in eine Therapie). Das sind vielleicht Wunden, die um zu heilen etwas Zeit brauchen, und Abstand - oft gibt es da eine Phase, wo man sich auch von den Eltern etwas mehr zurückziehen möchte.
Als Ihr Haupt-Anliegen habe ich verstanden die Frage, wie Sie Ihren Eltern jetzt gegenübertreten sollen. Vielleicht möchten Sie ja eigentlich diesen Abstand haben, glauben aber, Sie haben eine Pflicht den Eltern gegenüber. Da möchte ich Sie fragen (und dass Sie sich selbst fragen), was für eine Pflicht denn? Vielleicht denken Sie: Dankbar sein? Ihnen nicht weh tun? Sich um die Eltern kümmern, damit sie nicht allein sind?
Ich kenne ja die Einzelheiten nicht, ob Ihre Eltern etwa wirklich auf Sie angewiesen sind. Ich möchte Ihnen aber einfach sagen: Natürlich haben Sie ambivalente Gefühle! Sicher ist da auch Wut und Enttäuschung dabei, und vermutlich auch ein Stück Liebe und Dankbarkeit, irgendwann sogar Verständnis, Mitgefühl. Sie haben ein Recht auf Ihre Gefühle, auf alle. Sie müssen Sie aber nicht mitteilen - jedenfalls nicht, bevor Sie dazu wirklich bereit sind und sich stark genug fühlen.
Übrigens meine ich auch: Kinder haben gegenüber Ihren Eltern nicht viele Pflichten. Vielmehr haben Eltern viele Pflichten gegenüber Ihren Kindern, nicht umgekehrt!
Sie fragen: Wie werde ich Herr meiner Situation als Sohn?
Sie sind nicht verantwortlich für Ihre Eltern, außer wenn die nicht mehr für sich selber sorgen können wegen Alter oder Krankheit. Seien Sie nett und mitfühlend mit sich selbst. Sie müssen gar nichts tun, bevor Sie dazu bereit sind. Eine Psychotherapie ist da immer empfehlenswert - sie ist ein Raum für Sie, wo Sie sich mit all dem Widersprüchlichen auseinandersetzen können, wie ein Schutzraum ohne Druck, mit einem Therapeuten, der Sie versteht, Sie unterstützt, und Sie nicht bewertet. Das wünsche ich Ihnen.

Viel Glück!

Lutz Foerster






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