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Muss ich mir Vorwürfe machen, wenn ich meine Mutter ins Pflegeheim gebe?

Bea (w, 67) aus Merzig: Hallo,
mir geht es gerade nicht gut.
Meine Mutter ist 90, dement. Pflegegrad 4, Rollstuhl.
Seit vielen Jahren werde ich emotional von ihr erpresst. Bereits seit mehr als 25 Jahren bin ich immer für alles zuständig. Mein Bruder, Alkoholiker starb daran mit 43 Jahren. Mein Vater war viele Jahre krank. Ich war immer zur Stelle. Transport ins Krankenhaus, abholen, Arztgespräche, Mutter chauffieren. Das gleiche für 2 Schwestern meiner Mutter. Beide jetzt tot. Pflege und Organisation meiner Mutter und ihres Haushaltes.
Nachdem es zwischen uns immer verstärkt zu Streitigkeiten kam, mein Mann sie des öfteren des Hauses verweisen musste, entschieden wir eine 24-Stunden-Hilfe zu holen. Das hat jetzt 5 Jahre funktioniert, aber mit zunehmender Demenz wird es schlimmer. Mit einigen kommt sie sehr gut zurecht, andere mussten wir nach kurzer Zeit wieder zurückschicken. Sie ist der Boss, es ist ihr Haus, sie hat zu bestimmen. Wir wohnen im Haus daneben.
Im Januar stürzte sie, Oberschenkelfraktur, Rollstuhl. Sie kann nichts mehr alleine machen. Im Kopf schon. Mein Mann und ich haben 3 Monate die Pflege alleine gemacht. Ich kann es aber so nicht. Ich kann und will mein Leben (mein Mann ist 79) auch noch ein wenig selbst bestimmen. Gerade habe ich eine 5-wöchige psychosomatische Reha hinter mir. Es ging halbwegs besser. Jetzt bin ich schon wieder am Ende. Muss ich mir Vorwürfe machen wenn ich sie jetzt in ein Pflegeheim gebe, falls ich einen Platz finde?

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Bea,

ich kann verstehen, dass es Ihnen einerseits nicht gut geht mit der Pflege Ihrer Mutter und dass Sie sich andererseits fragen, ob es in Ordnung wäre, sie in ein Pflegeheim zu geben.

Vielleicht schauen wir mal ein bisschen objektiv auf die Situation, so von außen: Ihre Mutter ist stolze 90 Jahre, sie leidet an Demenz, die schlimmer wird. Sie sitzt im Rollstuhl und kann sich nicht mehr selbst behelfen, was körperliche Versorgung und Haushalt betrifft. Das klingt für mich nach einigen Dingen, die hier zusammenkommen und die einen immensen Aufwand bedeuten, was die Pflege und Versorgung betrifft. Eine demente Person im Rollstuhl zu versorgen ist nicht nur ein Vollzeitjob, es ist ein Rund-um-die-Uhr-Job. Also gewissermaßen vier Vollzeitjobs, auf eine Woche bezogen. Dazu schreiben Sie, dass es auch emotional schwierig ist zwischen Ihrer Mutter und Ihnen, was die Sache natürlich nicht erleichtert.

Von daher: Es ist für mich völlig nachvollziehbar und verständlich, dass Sie sagen, dass das für Sie zu viel ist. Dass Sie sich drei Monate mit Ihrem Mann zusammen alleine um die Pflege gekümmert haben, war sicherlich unheimlich anstrengend.

Sie scheinen in Ihrer Familie die Rolle der Kümmerin übernommen zu haben, da die anderen Familienmitglieder diese nicht übernehmen wollten oder konnten. Und vielleicht auch, weil das von Ihnen erwartet wurde und das möglicherweise auch direkt so kommuniziert wurde. Und das ist natürlich erstmal grundsätzlich etwas Positives und Wertvolles, für andere da zu sein und sich um sie zu kümmern. Die Kehrseite der Medaille ist dabei aber, dass die Gefahr besteht, dass die eigenen Bedürfnisse auf der Strecke bleiben und die eigenen Grenzen überschritten werden, da es anscheinend niemanden gab oder gibt, der auch mal auf Sie geschaut hat. Die Bedürfnisse der anderen gingen und gehen vor. Aber: Sie sind auch wichtig. Sie sind genau so ein Mensch, der Bedürfnisse und Grenzen hat. Wer kümmert sich eigentlich um Sie? Dass Sie in die Reha mussten und sich jetzt schon wieder 'am Ende' fühlen, scheint ja schon ein deutliches Signal zu sein, dass Ihre Grenzen hier in der Situation nicht gewahrt sind.

Oft kommt es dann in so einer Dynamik zu Schuldgefühlen, wenn man sich um sich selbst kümmern will oder muss, weil die Kräfte irgendwann erschöpft sind. Das bedeutet aber auch, dass man damit seine Rolle verlässt und das fühlt sich dann falsch an. Entweder weil man seine Rolle so weit verinnerlicht hat, das sie zu einer zweiten Haut geworden ist, oder weil die anderen einen vielleicht auch direkt dafür verurteilen. Die Frage ist aber: Ist das denn wirklich falsch, dass Sie auch auf sich achten?

Wussten Sie, dass in der Ersten Hilfe der allererste Grundsatz ist, dass man erst einmal darauf schauen muss, dass man selbst in Sicherheit ist, bevor man andere rettet? Wenn man in ein brennendes Haus rennt, um jemanden zu retten, besteht die unmittelbare Gefahr, dass die Feuerwehr am Ende zwei Personen retten muss, statt nur einer.

Das heißt auf Ihre Situation bezogen: Geben und sich um andere kümmern? Ja. Aber im Rahmen Ihrer eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten. So, dass Sie nicht am Ende danebenliegen. Und ganz konkret: Sich um Ihre Mutter kümmern und pflegen, das ist toll, das verdient Anerkennung – so weit Sie das können und gut schaffen. Sie müssen dabei nicht bis zur völligen Erschöpfung gehen. Nochmal: Sie sind auch wichtig!

Angenommen, Sie würden Ihre Mutter in ein Pflegeheim geben: Würde das bedeuten, dass Sie sich nicht mehr um sie kümmern würden? Es gibt ja auch etwas zwischen den Extremen, also dass Sie entweder alles alleine machen oder dass Sie Ihre Mutter in das schlechteste Heim der Stadt geben und sich dort nie wieder blicken lassen. Was wäre ein guter Kompromiss? Was könnten Sie gut schaffen? Könnten Sie darauf achten, dass Ihre Mutter in ein gutes Heim kommt und dass Sie dort gut versorgt ist? Könnten Sie sie besuchen und Zeit mit ihr verbringen, um ihr den Aufenthalt angenehmer zu machen? Schauen Sie, was geht und was nicht – Sie dürfen das.

Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter. Wenn noch etwas unklar ist oder Sie noch fragen haben, wenden Sie sich gerne an mich unter meiner Email-Adresse info@loesbar-online.de.

Alles Gute für Sie und Ihre Mutter!

Viele Grüße
Astrid Hiersekorn
Bewertung durch den Fragensteller:
Ich denke das es mir hilft die richtige Entscheidung zu treffen

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