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Merkwürdiges Verhalten eines Fünfjährigen?

anonym (w, 26) aus Kronach: Ich mache mir Sorgen um einen 5jährigen Jungen. Jedesmal wenn ich ihn besuche, muss ich Arzt mit ihm spielen, und er verlangt dann, dass ich Latex-Handschuhe anziehe und ihn streichle! Ich darf ihn ohne die Handschuhe nicht berühren, er besteht darauf! Heute sollte ich ihn ausziehen und wickeln, obwohl er eigentlich sauber ist, und nur nachts eine Windel braucht.

Auch will er mit mir kuscheln und versucht dann immer, meine Brust zu streicheln. Ist das normal für einen 5jährigen Jungen oder sollte ich mir ernsthaft Sorgen machen? Es soll auch niemand mitbekommen, er schickt immer alle Leute aus dem Zimmer, und kontrolliert dann öfters, ob auch niemand lauscht. Mir kommt das alles ein wenig komisch vor! Kann es sein, dass er von seinen Eltern nicht die Liebe bekommt, die er eigentlich bräuchte?

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe anonym,

vielen Dank, daß Sie Ihre Eindrücke hier so prägnant und offen beschreiben! Einiges scheint in Ihrer Beschreibung vielleicht auf den ersten Blick 'seltsam' zu sein, vielleicht aber auch gerade ganz andere Dinge, als Sie denken...

Was Sie beschreiben, scheint am ehesten den berühmt-berüchtigten 'Doktor-Spielen' zu entsprechen, die typischerweise um das 4. bis 6. Lebensjahr 'akut' werden. Es ist - tiefenpsychologisch betrachtet - die kindliche Lebensphase, in der Kinder entdecken, daß sie nicht nur 'ein Kind' sind, sondern daß sie über ein Geschlecht verfügen, ein Junge oder ein Mädchen sind. Von dieser Entdeckung geht eine Faszination aus, die üblicherweise mit sexuellen bzw. genitalen Berührungen, 'Untersuchungen' etc. vonstattengehen, so ähnlich, wie Sie es beschreiben.

Allerdings steckt noch mehr 'dahinter': Mit dem Entdecken des eigenen Geschlechts geht auch die Frage los, inwiefern eine sexuelle Beziehung zu den eigenen Eltern möglich ist. Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um unbewußte Vorgänge, nicht um willentliche oder erklärbare Gedanken! Es ist häufig das Alter, in dem Kinder davon sprechen, einmal 'Mutti/Vati zu heiraten, wenn ich groß bin!'. Erwachsene sind - aus Verlegenheit - häufig darüber amüsiert, weil sie den eigentlichen Bedeutungsgehalt nicht erkennen können oder wollen.

Nicht selten führt diese Phase dann auch zu tatsächlichen sexuell intendierten Berührungen oder Wünschen, wie in Ihrem Fall. Daß dabei Latex-Handschuhe eine große Rolle spielen, läßt sich schwer interpretieren. Es mag ein besonderes sensorisches (erregendes) Gefühl auslösen, es kann aber auch der Wunsch sein, sowohl Nähe (Berührung) als auch Distanz (Handschuhe) gleichzeitig haben zu wollen; der Versuch, einen verdrängten Wunsch ambivalent zu lösen.

Was mich nun - um auf meine Einleitung zurückzukommen - viel eher irritiert als das vorhergehend Beschriebene, sind nun die Umstände, unter denen das geschieht. Sie beschreiben sehr eindrücklich, wie das Kind 'alle anderen Personen hinausschickt', um mit Ihnen intim zu werden. Das würde ja bedeuten, daß sich alle anderen Anwesenden hinausschicken lassen und daß Sie bereitwillig bleiben, wissend, daß es zu sexuell intendierten Handlungen kommen wird. Insofern scheint ein unausgesprochenes Interesse aller Beteiligten zu bestehen, diese Konstellation herbeizuführen.

Überprüfen Sie also in erster Linie ganz genau Ihre eigenen Empfindungen und Gefühle und stellen Sie Ihr Verhalten demgegenüber. Was 'zieht' Sie in diese Geschichte hinein? Warum lassen Sie das alles zu? Warum entsprechen Sie den Wünschen nach Handschuhen und dem Wickeln? Offensichtlich hat der Junge die Gabe, seine Umgebung zu manipulieren, doch wie es immer so ist: Einer manipuliert, aber der andere (in diesem Falle Sie?) läßt sich manipulieren.

Wenn Sie den Wunsch haben, aus dieser Entwicklung 'auszusteigen', werden Sie lernen müssen, auch dem Jungen gegenüber 'Nein' zu sagen. Das muß keinen strafenden Charakter haben, sondern könnte - wenn dem so ist - Ihr Unwohlsein, Ihre Unzufriedenheit mit dieser Situation ausdrücken.

Diese Entwicklungsphasen haben nur sehr bedingt etwas mit 'falscher' oder 'richtiger' Liebe der Eltern zu tun, so, wie Sie am Ende fragen. Im Gegenteil: Der Junge hat den urtümlichen Wunsch, (s)eine Mutter zu lieben (auch körperlich), und kann - aufgrund des sogenannten Inzesttabus - diesen Wunsch nicht ausleben, ist also auf ein Ersatzobjekt angewiesen - in diesem Falle offensichtlich Sie.

Begegnen Sie diesen Wünschen zugewandt und interessiert, setzen Sie aber auch Grenzen, und zwar dort, wo Sie sich unangenehm berührt fühlen (in jeder Hinsicht). Wenn Sie den Mut haben, sprechen Sie auch mit seiner Mutter darüber. Sexualität bei Kindern wird oft ganz pauschal verneint bzw. abgelehnt oder argwöhnisch betrachtet. Psychologisch betrachtet ist sie Teil des Menschen von Geburt an.

Alle Fragen, die sich Ihnen in dieser Situation stellen, können Sie auch selbst anregen, über Ihre eigene sexuelle Entwicklung nachzudenken. Eigene 'verbotene' Wünsche werden häufig im Erwachsenenleben verdrängt, eine Beobachtung bei Kindern führt dann zu Unsicherheiten und Ablehnungen.

Versuchen Sie, den Kontakt zu dem Jungen zu halten, denn Sie scheinen eine wichtige Bezugsperson für ihn zu sein. Wenn Sie größere Unsicherheiten verspüren, nehmen Sie bitte Kontakt zu einem Therapeuten auf und bitten um tiefergehende Beratung.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Holger Nikolai
- Heilpraktiker f. Psychotherapie -
Bewertung durch den Fragensteller:
Die Beratung hat mir geholfen, mit der Situation besser umzugehen! Danke!

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