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Kann man der Chefin sagen, wie sie arbeiten soll?

Schwan (w, 53) aus Darmstadt: Hallo,
kurz zu meiner Person: bin 53 J. alt und habe in den letzten Jahren im Schnitt alle zwei Jahre die Arbeitsstelle aus bürointernen Gründen wechseln müssen. Nun habe ich seit 6 Monaten eine neue Stelle. Mein Problem ist, dass ich häufig von Selbstzweifeln geplagt werden. Auch zu diesem Thema:
Meine Chefin verursacht häufig kurz vor Arbeitsende noch Hektik, weil sie noch das und jenes haben möchte und das und jenes anders haben möchte. Grundsätzlich werden Fristen erst am Tag des Fristablauf bearbeitet…..
Das führt bei mir zu Stress und die Fehlerquote ist bei dieser Art zu arbeiten auch höher….
Man merkt mir sicherlich an, dass mir diese Situation Stress verursacht.
Hinterher fühle ich mich schlecht, weil ich das Gefühl habe, nicht genügend Gelassenheit gezeigt zu haben. Grundsätzlich habe ich auch nichts gegen vorher abgesprochene Überstunden. Aber ich möchte nicht, dass man über meine Freizeit verfügt, die ich logischerweise auch plane…..
Wie verhalte ich mich am besten? Bin, wie oben erwähnt, erst 6 Monate (Probezeit gerade abgelaufen) in dieser Anwaltskanzlei. Kann man der Chefin sagen, dass sie anders arbeiten sollte? Wohl eher nicht. Ich kenne sie noch zu wenig.
Im voraus vielen Dank für hilfreiche Rückantworten.



Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Guten Tag „Schwan“,

Sie haben sicherlich schon viel Berufserfahrung sammeln können, alleine schon durch die Tatsache, dass öfter ein beruflicher Wechsel ansteht. Wenn Sie sich immer wieder in neue Bereiche einarbeiten und zurecht finden, verfügen Sie über eine gute Anpassungsgabe und sind sehr flexibel. Wahrscheinlich haben Sie bei dem ein oder anderen Vorgesetzen ähnliche Verhaltensweisen wie bei Ihrer derzeitigen Chefin festgestellt, vielleicht nicht in der Ausprägung, aber unter Umständen mit der gleichen Tendenz. Ich frage mich, wie Sie diese Situationen bisher gemeistert haben, denn Sie schreiben nicht, dass dies in Ihrem Berufsleben schon immer ein Thema gewesen ist. Ihre Selbstzweifel lassen daher auf eine Offenheit zur Selbstreflexion schließen, dies sollte aber nicht so weit führen, dass Sie sich selber gedanklich „niedermachen“.
Ihrer Schilderung entnehme ich, dass es größtenteils eine Frage der Organisation ist, dass es zum Fristablauf zu Engpässen kommt. Man sagt, dass Menschen, die immer bis zum letzten Moment mit der Erledigung von Aufgaben warten unter Umständen sehr ehrgeizig sind und immer alles richtig machen wollen. Da sie aber genau wissen, dass dies nicht möglich ist, setzen sie sich zeitlich unter Druck – dann ist es nur noch wichtig, die Frist einzuhalten. Dies soll keine Entschuldigung für irgendein Verhalten sein, aber vielleicht dient es ein wenig der Erklärung, warum manche Menschen so arbeiten.
Unabhängig davon, warum Ihre Chefin so arbeitet, stellt dies für Sie einen Stressfaktor dar. Sie fragen, ob das aus Ihrer Position heraus angesprochen werden darf / kann. Ich meine, es ist sogar Ihre Pflicht, Ihrer Chefin zu sagen, dass Sie unter anderen Umständen eine höhere Leistung mit einer geringeren Fehlerhäufigkeit erbringen können.
Die Frage ist m. E. nicht „ob“, sondern „wie“. Sinnvoll ist es, Ihrer Chefin erst einmal Ihre Beobachtung mitzuteilen, dass Fristen oft am letzten Tag erst bearbeitet werden. Erklären Sie Ihr, dass Sie gerne eine gute Arbeitsleistung erbringen möchten und dass es Sie verunsichert (oder frustriert, ängstigt…) und in Ihrer Arbeit hemmt, wenn Sie wissen, dass von außen ein Termin gesetzt wird, der nicht zu ändern ist und die Erledigung der Aufgabe erst sehr spät erfolgt .
Es wird ganz sicher auch Ausnahmen geben, auch wenn Sie „grundsätzlich“ schreiben. Wann kommen diese Ausnahmen vor? Kann man sie auf andere Fristsachen übertragen? Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, im Vorfeld Aufgaben auf Sie zu übertragen, so dass gewisse Dinge schon vorbereitet sind?
Ihre Chefin sollte auch wissen, dass es an und für sich kein Problem für Sie darstellt, über die normalerweise vereinbarte Arbeitszeit hinaus Arbeiten zu erledigen. Da Sie aber auch im privaten Bereich gerne planen und manche Dinge eben auch einer Planung bedürfen, möchten Sie diese Mehrarbeitszeit als eine Ausnahme sehen und auch die echte Möglichkeit haben, mal „Nein“ zu sagen, wenn Sie im Vorfeld Ihre Freizeit anders verplant haben. Erklären Sie Ihrer Chefin, dass es Sie unter Druck setzt und dass es Ihnen ohne Druck leichter fällt, Aufgaben zu erfüllen.
Teilen Sie Ihrer Chefin mit, dass Sie gerne mit Ihr zusammenarbeiten und dass Ihnen daran gelegen ist, ein gutes Team zu sein.

Es ist hilfreich, wenn Sie zuerst Ihre Beobachtung ohne Wertung wiedergeben um dann mitzuteilen, wie Ihr Gefühl in der Situation ist – ohne zu interpretieren. Machen Sie sich klar, dass Sie für Ihr Gefühl verantwortlich sind. Nicht Ihre Chefin. Evtl. liefert Sie den Auslöser für Ihr Gefühl, aber sie hat es nicht zu verantworten. Fragen Sie sich als nächstes, was Sie brauchen, um die Situation zufriedenstellend zu meistern. Welche Bedürfnisse stehen hinter Ihren Selbstzweifeln? Zum Abschluss sollten Sie eine Bitte formulieren, keine Forderung in der Art „Wenn das nicht besser wird, dann….“

Ich begrüße es sehr, dass Sie sich in dieser jungen Zusammenarbeit mit Ihrer Chefin so sehr mit dem Thema auseinandersetzen. Wenn Strukturen und Verhaltensmuster schon lange eingespielt sind, ist es oftmals viel schwerer, sie zu lösen.

Für Ihre Zusammenarbeit mit Ihrer Chefin wünsche ich Ihnen alles Gute und hoffe, Sie können ein gutes Gespräch mit Ihr führen, dass auf beiden Seiten frei von Vorwürfen und Wertungen sein wird. So wird es Ihnen möglich sein, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen.

Tatjana Hartmann-Odemer
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Systemische Beratung
68775 Ketsch
Bewertung durch den Fragensteller:
Vielen Dank für die guten Tipps.





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