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Ich kann den Kontakt zu meiner Mutter nicht ertragen

Hellis (w, 57) aus Gerolstein: Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem mein Vater das S(chl)agen hatte, es herrschte eine Atmosphäre der Angst. Mutter nahm uns Kinder (3) nicht wirklich in Schutz und erklärt heute, von unserem Elend nichts bemerkt zu haben.
Nach Monaten des ständig meine Mutter Entschuldigens habe ich in einer Therapie akzeptieren gelernt, dass sie auch „Täterin“ war. Nur: Sie ist heute eine nette alte Dame von 85 Jahren, der das Damalige leid tut, betonend, dass sie aber auch „Opfer“ war.
Als mein Mann und ich Mutter vor 7 Monaten das letzte Mal besuchten (~200 km entfernt), habe ich nach einigen Stunden die Flucht ergriffen, weil ich plötzlich die ungute Atmosphäre im Haus spürte und nicht mehr ertragen konnte. Telefonieren mit Mutter geht, aber besuchen ist seitdem immer noch nicht möglich.
Mein Problem: Ich bekomme inzwischen Schuldgefühle wegen meines inneren Sträubens, Mutter zu besuchen und gerate damit innerlich unter ziemlichen Druck, der sich mal wieder in Durchfall etc. äußert. Eine Stimme in mir sagt: „Deine Mutter ist lieb, alt, vereinsamt zunehmend; sei doch nicht so hart, besuche sie! Dir bleibt vielleicht nicht mehr viel Zeit! Und du hast so viel Erfahrung im Besuchsdienst im Altenheim gesammelt, da wirst du doch ein paar Stunden mit deiner Mutter verbringen können, mit der du am Telefon doch auch ganz gut klar kommst.“
Ich hätte gerne 1. keine Schuldgefühle, wenn ich Mutter nicht besuche und würde 2. Mutter gerne ohne Widerstreben besuchen können.



Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Hallo liebe Hellis,

ich danke Ihnen, dass Sie uns Ihre Frage anvertrauen. Dass die Kinder in der Familie geschlagen werden und der Vater das herrschende Familienoberhaupt ist, kam vor einigen Jahren leider sehr häufig vor. Die heute erwachsenen Kinder tragen schlimme Wunden davon, die oft bis heute nicht verheilt sind.

Sie schreiben, dass Sie in einer Therapie gelernt haben zu akzeptieren, dass auch Ihre Mutter „Täterin“ war, indem sie Sie damals nicht vor dem Vater beschützt hat. Das ist richtig, denn oftmals schützte die Mütter damals ihr Gewissen damit, dass dies normal sei oder dass das Kind die Schläge verdient habe. Der Vertrauensbruch und das gefühlte „ausgeliefert werden“ von der Mutter, hinterlässt bei den Kindern oft noch schlimmere Wunden, als die Schläge selbst.

Das Erkennen dieses Vertrauensbruches ermöglicht Ihnen, Ihre eigenen Verletzungen für sich ernst zu nehmen und irgendwann zu heilen.

Allerdings kollidiert diese Erkenntnis und der damit verbundene Rückzug von der Mutter mit Ihrem Wunsch, die Mutter zu verstehen und ihr im Alter zu vergeben. Einerseits haben Sie sich Ihre Verletzungen bewusst gemacht, deren Schmerz und Enttäuschung wahrscheinlich noch nicht verheilt sind.

Andererseits fühlen Sie sich wohl auch verantwortlich und möchten die Verletzungen, die Ihnen zugefügt wurden, nicht zurückgeben. Diese beiden inneren Antriebe stehen sich gegenüber und bekämpfen sich gerade. Was ist richtig, was ist falsch? Muss ich meine Wut und meinen Schmerz klein halten, um mich nicht schuldig zu fühlen? Kann ich mich verleugnen?

Da Ihr Bild von der Mutter als Täterin immer noch aufgeladen ist mit dem alten Schmerz und der Wut, überwiegt es natürlich und macht es Ihnen unmöglich, sich der Mutter zu nähern. Auch dann, wenn Sie vom Verstand her wissen, dass Ihre Mutter heute eigentlich nichts mehr wiedergutmachen kann.

Ich würde Ihnen empfehlen, noch einmal für kurze Zeit in die Therapie zurückzukehren und dort lernen, zwei Dinge zu trennen. Einmal, Ihren eigenen Schmerz und Ihre Wut anzuerkennen, zuzulassen und damit zu heilen. Geben Sie Ihrem inneren Kind den Schutz und den Respekt, den es braucht.

Zum Andere können Sie auch betrachten, dass Frauen zu dieser Zeit kaum eine Möglichkeit hatten, Ihre Kinder vor einem prügelnden Mann zu schützen. Sie hatten kaum Rechte und die Gesellschaft gab ihnen weder Halt noch Schutz. Die meisten entschieden sich dafür, dem Mann Recht zu geben und somit ihre Kinder zu verraten, um sich selbst zu schützen. Das ist schlimm und aus heutige Sicht nicht mehr nachzuvollziehen. Aber um halbwegs einen Weg zu finden, die Mutter aus der reinen Täterrolle zu entlassen, kann dieses Erkennen sinnvoll sein.

Vielleicht ist es Ihnen dann wieder möglich, mit Ihrer Mutter in Kontakt zu treten und ihr irgendwann zu vergeben. Wenn Sie allerdings feststellen, dass es Ihnen schlichtweg besser damit geht, keinen Kontakt mehr zu Ihrer Mutter aufzunehmen, sollten Sie sich deshalb keine Schuldgefühle machen.

Kinder, egal wie alt sie sind, sind niemals dafür da, damit es den Eltern gut geht. Und ein erzwungener Kontakt bringt in der Regel weder Ihnen noch Ihrer Mutter recht viel. Erlauben Sie sich, zu heilen und Ihre Verletzungen in aller Klarheit zu betrachten. Somit kann irgendwann für Sie wieder Frieden einkehren und damit auch bei Ihrer Mutter.

Ich wünsche Ihnen dafür viel Kraft und alles Gute.

Viele Grüße

Monika Ströhlein
Bewertung durch den Fragensteller:
Verständnisvolle, einfühlsame Antwort. Besonders entlastend: Heilung = Prozess. Jetzt bin erst mal ICH wichtig, später erst meine Mutter.





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