Navigation Psychomeda.de
Das Psychologie-Portal

Dick und dünn, Zunehmen und Abnehmen

melissa (w, 33) aus Ingolstadt: Liebes Team!

Vor einigen Jahren nahm ich aufgrund starken Übergewichts ab, bis ich schließlich leicht im magersüchtigen Bereich war. Irgendwann hatte sich das verselbstständigt, das Thema Abnehmen wurde mir immer wichtiger. Durch Druck von außen (keine Therapie) habe ich dann wieder etwas zugenommen, geblieben sind mir aber das Kalorienzählen, der ständige Vergleich mit anderen, noch schlankeren Frauen und das Problem, dass es zwischen Dick und Dünn für mich nicht wirklich etwas gibt.

Aktuell fühle ich mich aber extrem unwohl mit meinem Gewicht, einfach weil die Kleidung spannt und ich keinesfalls wieder da hin will, woher ich gekommen bin. Deshalb habe ich mich jetzt bei einem Abnehmprogramm angemeldet, um ca. 3 Kilo wieder wegzubekommen. Dann wäre ich vermutlich am untersten Rand des Normalgewichts. Was mir nun auffällt ist, dass ich wieder einen enormen Ehrgeiz entwickle, möglichst mein Tagesbudget (an Punkten) nicht aufzubrauchen, geschweige denn irgendwelche Extrapunkte des Programms. Meine Familie steht Kopf und sieht höchste Gefahr. Mir geht es wirklich nur darum, mich wieder etwas wohler in meiner Haut zu fühlen.

Zu behaupten, dass mich das extreme Dünnsein nicht wieder reizen würde, wäre gelogen, dennoch bin ich mir der Gefahr schon auch bewusst und glaube, ich habe das im Griff. Das ist die eine Seite, die andere ist, dass ich Angst habe, mich selbst zu belügen (was eigentlich nicht meine Art ist, dafür bin ich zu realistisch). Ist es denn wirklich so, dass man, wenn man einmal Probleme auf diesem Gebiet hatte, niemals wieder sein Gewicht nach unten regulieren darf, wenn man noch nicht im roten Bereich ist? Kann ich selbst das wirklich nicht einschätzen, sondern bin nur 'Geisel eines krankhaften Denkens', wie andere mir vorwerfen?

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe melissa,

danke für Ihre Frage, die auf mich sehr reflektiert und selbstkritisch wirkt, womit ich gleich schon bei einem zentralen Punkt Ihrer Schilderung bin: Eßstörungen liegt praktisch immer ein besonderes Verhältnis zu Kontrolle, Abgrenzung und Autonomie (Selbständigkeit) zugrunde. Allein Ihre Äußerung, wie sehr sich Ihre Familie um Sie sorgt, bringt die Sache bereits auf den Punkt: Es entsteht eine 'Wechselwirkung', Ihre Familie drängt auf 'Zunahme', Sie halten diese Forderung in Schach (Autonomie), indem Sie selbstbestimmt eine Gruppe zum Abnehmen besuchen.

Ihre hohe Selbstreflexion bringen Sie damit zum Ausdruck, daß Sie Ihren Wunsch, mit 'extremem Dünnsein' zu liebäugeln, auch als attraktiv benennen, aber auch die Gefahr des Selbstbetrugs ansprechen.

Eßstörungen liegen sehr komplizierte seelische Mechanismen zugrunde. Gemeinsam ist allen (Anorexia und Bulimia nervosa) die extreme gesundheitliche Gefährdung, von Stoffwechselstörungen, Amenorrhoe, Mangelerscheinungen, Zahnausfall bis hin zu Kachexie (körperlicher Verfall) und: Demenz.

Daß Ihre Familie sich um Sie sorgt, halte ich für sehr verständlich, es ist im Grunde ein Hilferuf, daß Sie sich nicht 'verdünnisieren' sollen, wenn Sie mir dieses ungeschickte Wortspiel erlauben.

Sie haben bereits eine Gruppe zum Abnehmen aufgesucht, das zeigt Ihre Fähigkeit, mit anderen in Kontakt zu treten. Vielleicht können Sie diese Fähigkeit bzw. diese Aktion umwandeln, indem Sie eine Gruppe mit Personen mit Eßstörungen aufsuchen, die in praktisch jeder Stadt existieren. Finden Sie dort heraus, worin genau Ihr Anreiz besteht, dünn sein zu wollen. Um ehrlich zu sein: äußerliche Attraktivität ist garantiert nicht der Grund!

Es stimmt, daß Personen mit Eßstörungen (egal, in welche Richtung) oftmals ihr ganzes Leben um das Thema 'Essen' kreisen, auch wenn sie ein Normalgewicht halten können. Umso wichtiger ist es, daß Sie eine Bezugsperson in Form eines Beraters oder eines Therapeuten finden, dem oder der Sie sich - auch in zeitlichen Abständen - anvertrauen können, wenn Sie Veränderungen entweder in Ihrem seelischen Empfinden oder in Ihrem tatsächlichen Gewicht feststellen. Wenn Sie den Mut haben, suchen Sie sich jetzt einen Therapeuten, auch wenn Sie der Meinung sind, daß zur Zeit 'eigentlich alles ganz gut' ist. Gerade in einer solchen Phase können Sie den Zugang zu Ihren inneren Denk- und Erlebensweisen finden, der Ihnen Hinweise auf Entstehungsursachen geben kann.

Herzliche Grüße

Ihr

Holger Nikolai
Bewertung durch den Fragensteller:





Online-Beratung

Auf Psychomeda beantworten Psychologen und Therapeuten Ihre Fragen unentgeltlich. Jetzt online Ihre Frage stellen...


Therapeuten

Zuletzt aufgerufene Therapeuten-Seiten. Therapeut, Coach, Berater? Eintragen...


Beliebt auf Psychomeda


TwitterSocial Feed



Folgen Sie uns auf Twitter


Qualität

Psychomeda ist ein unabhängiges psychologisches Informations- und Beratungsportal von Psychologen und Therapeuten. Wir informieren evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage. Weiter