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Warum ritze ich micht? Bin ich ernsthaft krank?

Mary (w, 13) aus Berlin: Ok, hi! Ich wollte meine Situation einfach mal beschreiben. Ich bin nach den Sommerferien auf die Oberschule gekommen und meine beste Freundin ist seit dem weggezogen und auf eine andere Schule gekommen, wir sehen uns nur noch ab und zu. Seit dem ich auf der neuen Schule bin habe ich nur eine 'Freundin', denn ich bin zu schüchtern andere einfach so anzusprechen. Man kann sie eigentlich auch nicht als Freundin bezeichnen, ich Laufe ihr in der Schule einfach nur hinterher damit ich nicht alleine bin. Zuhause bin ich dann auch immer alleine. Also jetzt die Sachen die mich beunruhigen. Ich werde wenn ich Musik höre immer so traurig das ich denke ich müsste gleich los heulen. ( egal bei was für Musik, auch wenn sie noch so fröhlich ist ) Auch wenn ich Abends im Bett liege werde ich oft grundlos traurig. Ich habe auch schon mal an Selbstmord gedacht! Einmal stand in einer U-Bahn Station und die U-Bahn kam gerade, ich hab mit dem Gedanken gespielt einfach einen Schritt weiter zu gehen und alles wäre vorbei gewesen! Ich lache nur noch wenn etwas lustig ist, richtig gefreut oder einfach so glücklich war ich schon seit fast einem halben Jahr nicht mehr. Ich gehe auch nur noch raus wenn es unbedingt nötig ist und verkrieche mich lieber in mein Zimmer. Seit einer Woche ritze ich mich auch aber ohne das es blutet, nur so weit das nach einem Tag etwas Schorf drauf ist. Anmerkung: Meine Eltern haben sich vor etwa 3 Jahren getrennt, aber ohne Streit oder so, wir sind einfach aus einander gezogen, ich lebe bei meiner Mutter und sehe meinen Vater mindestens alle 2 Wochen ( wir wohnen keine 500 m auseinander), meine Eltern haben mich NIE angeschrien oder geschlagen, ich habe keine Geschwister und jetzt lebe ich mit meiner Mutter und meinem Meerschweinchen in einer 2 1/2 Zimmer Wohnung keine 3 Minuten von meiner Schule entfernt! Bin ich ernsthaft krank oder ist das weil ich gerade in der Pubertät bin? Alles hat vor etwa einem Monat angefangen.

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Mary,

das Ritzen ist bei jungen Mädchen gar nicht so selten und bedeutet nicht gleich, dass man irgendwann Selbstmord begeht oder ernsthaft krank ist. Trotzdem ist es gut, dass Du Dich selbst meldest und nach Hilfe suchst, damit das Ritzen nicht zur Sucht wird.

Bei den meisten Mädchen, die sich ritzen spielen Trennung der Eltern, Einsamkeit, Selbstzweifel und tiefe innere Verletzungen eine auslösende Rolle. Am Anfang verschafft das Ritzen dann eine Art Erleichterung. Auf die Dauer kann es jedoch zu einer ernsten Belastung werden.

Du solltest wissen, dass es viele Menschen gibt, die Dir kostenlos helfen können - ohne gleich mit Deiner Mutter zu sprechen. Als wichtigsten Ansprechpartner hast Du den Beratungslehrer an Deiner Schule. Er ist besonders geschult und kann Dich bei allem unterstützen. Du kannst Dich aber auch direkt an den schulpsychologischen Dienst wenden (gibt es in jedem Berliner Bezirk). Dort arbeiten Psychologen, die einer besonderen Schweigepflicht unterliegen und Erfahrung im Umgang mit Ritzen haben. Ihre Aufgabe ist es, Dir bei Deinen Problemen zu helfen. Außerdem gibt es noch in jedem Bezirk Familienberatungsstellen und den Kindernotdienst. Du bist also nicht allein - weder mit dem Ritzen noch musst Du das Problem völlig allein lösen. Es gibt viele, die Dir helfen können.

Insgesamt glaube ich, dass es Dir besser geht und Du auf das Ritzen verzichten kannst, wenn es Dir gelingt, Deine Einsamkeit zu durchbrechen und Deine Traurigkeit auszudrücken und dann auch besser zu verstehen.

Was oft hilft, ist das Schreiben von Kurzgeschichten und Gedichten über die eigenen Gefühle und Erlebnisse. Menschen, denen das Schreiben nicht so sehr liegt, hilft das Malen. Da Du sehr emotional auf Musik reagierst, wäre auch das Musik machen in einer Band ein guter Weg für Dich, Deine Gefühle auszudrücken und zu verarbeiten.

Als nächstes solltest Du Dir unbedingt eine Sportart suchen. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass sich Sport positiv auf das Wohlbefinden auswirkt und hilft, mit starken Gefühlen besser klarzukommen. Sport ist am Anfang hart, aber wenn Du die Zähne zusammenbeißt und eine Zeit lang durchhältst, wirst Du merken, wie es Dir immer besser geht und wie Du an Selbstvertrauen gewinnst - ganz von allein. Sport kann auch Tanzen sein - wichtig ist aber, dass Du es mind. ein Mal in der Woche machst (auch wenn es Dir am Anfang keine Spass macht).

Das letzte ist die Überwindung der Schüchternheit. Mir persönlich haben dabei zwei Erkenntnisse geholfen: 1. Die allermeisten Menschen sind schüchtern und haben Angst vor anderen Menschen - vor allem aber vor Menschen, die nicht lachen. 2. Wenn Du öfter lächelst oder lachst, brauchst Du Deine Schüchternheit gar nicht zu überwinden, weil dann die Menschen vor Dir keine Angst mehr haben und von selbst auf Dich zukommen. Lachen und Lächeln (auch ohne etwas zu sagen) sind absolut wichtig und lassen sich einfach üben. Und dann habe ich viele Menschen erlebt, die ihre Schüchternheit abgelegt haben, als sie angefangen haben, Theater zu spielen. Auf der Bühne gibt es klare Rollen, darum brauchten sie keine Angst mehr zu haben. Gibt es bei Euch an der Schule vielleicht ein Theaterprojekt? Wenn ja, solltest Du einfach mal mitmachen!

Ich weiß nicht, wie Dein Verhältnis zu Deiner Mutter ist. Manchmal ist es so, dass sich die Erwachsenen von den Kindern in der Pubertät zurückziehen, weil sie die Kinder nicht mehr verstehen oder weil sie denken, die Kinder möchten das so. Dann hilft es gelegentlich, wenn das Kind einen Schritt auf die Mutter zumacht. Du musst ja nicht gleich über das Ritzen mit ihr sprechen, aber vielleicht kannst Du eine Beziehung wie zu einer Freundin mit ihr aufbauen.

Probiere bitte einmal diese Dinge aus. Wenn Sie aber in den nächsten 4 bis 6 Wochen nicht helfen, dann gehe bitte zum Beratungslehrer oder wende Dich (auch per E-Mail) an den schulpsychologischen Dienst in Deinem Bezirk.

Viel Erfolg!
Bewertung durch den Fragensteller:
Es gibt tatsächlich gerade ein Theaterprojekt... Vielleicht mache ich ja mal mit.

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