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Vom Sohn enttäuscht...

Harry (m, 45) aus München: Unser Sohn ist 18 und wohnt eigentlich noch zuhause. Die Realschule hat er beendet, danach aber die Fachoberschule abgebrochen. Er ließ sich nur sehr schwer ermutigen, eine Lehrstelle auf einer Ausbildungsmesse zu suchen (ich habe ihn begleitet). Die angebotene Praktikumsstelle hat er sofort wieder abgebrochen, nachdem er zweimal dort war. Seitdem (ca. ein Jahr) geht er überhaupt keiner Tätigkeit nach. Wir haben aufgehört ihn dafür zur Rede zu stellen, da ansonsten nur noch zuhause Unfrieden herrschte. Zahlreiche Ideen und Angebote hat er ignoriert und den Kontakt zum Elternhaus immer mehr gemieden. Seit ein paar Wochen kommt er gar nicht mehr nachhause und antwortet nicht oder nur stichpunktartig wenn wir ihn ausnahmsweise einmal anschreiben, weil zum Beispiel wichtige Post da ist. Wir vermuten Drogenprobleme - er hatte deshalb auch schon einen Therapieansatz (freiwilliger Kurs) und bald eine Gerichtsverhandlung wegen geringfügigen Cannabisbesitzes. Zur älteren Tochter haben wir guten Kontakt, Sie hat eine eigene Wohnung bezogen und wird von uns auch finanziell unterstützt. Dem Sohn gewähren wir diese Unterstützung seit einiger Zeit nicht mehr, da er sich einfach nicht zu einer Tätigkeit motivieren läßt. Was sollen wir tun ? Vielen Dank und viele Grüße, Wolferl.

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Hallo Wolferl,

kleine Kinder - kleine Sorgen, große Kinder...
Aus Ihrer Frage lese ich eine Menge Kummer und Sorgen heraus, die Sie sich um Ihren Sohn machen. Doch da ist auch noch etwas Anderes, dass ich da zwischen den Zeilen lesen kann : Enttäuschung.

Offenbar hat Ihr Sohn Ihre Erwartungen und Hoffnungen in ihn, nicht so erfüllt wie Sie es sich für ihn vielleicht ausgemalt oder erhofft haben.

Mal ganz offen und ehrlich gefragt :
Fallen Ihnen ganz spontan, also ohne lange zu überlegen, mindestens 5 Eigenschaften zu Ihrem Sohn ein, welche Sie an ihm schätzen oder die Sie sogar mit „Stolz“ erfüllen ?
Vermutlich werden Sie jetzt doch etwas länger überlegen müssen.
Und vermutlich könnten Sie die Frage in Bezug auf Ihre Tochter sofort beantworten...
Merken Sie worauf ich hinaus will ?

Es ist mehr oder weniger 'normal', dass Eltern ihre älteren Kinder mit etwas mehr Liebe und Aufmerksamkeit bedenken, als sie es bei ihren jüngeren Kindern tun. Das geschieht auch nicht unbedingt bewusst oder mit Absicht. Besonders wenn zwischen den Geschwistern ein größerer Altersunterschied besteht, gibt es so etwas wie einen 'Beziehungsvorsprung' :
Man hat bereits mehr Zeit mit dem älteren Kind verbracht und vergleicht die Entwicklungen des jüngeren Kindes mit dem älteren Kind. Man versucht automatisch, die Fehler und Versäumnisse, die man als Eltern beim ersten Kind gemacht hat, bei den nächsten Kindern zu vermeiden oder gar an diesen wieder „gutzumachen“ :
So z.B. genießt das jüngere Kind fast automatisch die Freiheiten und Privilegien, die sich das ältere Kind bei den Eltern noch erstreiten oder verdienen musste. Somit verliert es aber einen Teil der Aufmerksamkeit der Eltern. Für die Entwicklung des Kindes wichtige Streitgespräche und Erziehungskonflikte bleiben aus.
Auch wenn das jüngere Kind nicht mit Leistungen aufwarten kann, die um einiges besser, mindestens aber gleichwertig zu den Leistungen des älteren Kindes sind, reagieren die Eltern enttäuscht. Das führt dann unter Umständen jedoch zur Enttäuschung des jüngeren Kindes und es sucht sich negative Verhaltensweisen um die Aufmerksamkeit der Eltern zu erlangen. Somit beginnt ein Teufelskreis...

Ich würde Ihnen empfehlen, mit Ihrem Sohn einige ausführliche Gespräche über seine Wünsche und Vorstellungen vom Leben zu führen. Fragen Sie ihn, was Sie aus seiner Sicht hätten anders machen können oder sollen. Reden Sie mit ihm auch offen und ehrlich, aber ohne Vorwurfhaltung über den möglichen Drogenkonsum. Fragen Sie ihn, ob er diesbezüglich Hilfe braucht - drängen Sie ihm aber keine Hilfen oder Therapien auf !
Alles was er tun könnte, muss er freiwillig und alleine tun. Sie können, dürfen und müssen ihn aber unterstützen, wenn er Sie um Hilfe bittet. Diese Hilfen sollen aber nicht materieller oder finanzieller Art sein. Einfach mal zuhören, einen Rat geben, begleiten, fördern und fordern, Hilfe zu Selbsthilfe geben.
Möglicherweise wird ihr Sohn ein Gespräch zunächst ablehnen, da er auch erst mal wieder Vertrauen in Sie fassen muss. Möglicherweise geht er Ihnen auch aus Scham oder aus verletztem Selbstwertgefühl aus dem Weg. Zeigen Sie ihm dann, dass die Tür noch offen ist. Das Sie an ihn glauben und Sie ihm ehrlich helfen möchten. Suchen Sie eventuell eine(n) guten Freund(in) ihres Sohnes auf und bitten Sie ihn an diesen Gesprächen teilzunehmen.
Machen Sie Ihre Hilfsangebote aber nicht weiterhin von einer 'Gegenleistung' abhängig. Das wird mit Sicherheit nicht zu einer Verbesserung der Beziehung führen - denn Ihr Sohn wird sich Ihre Hilfe und Ihr Vertrauen in ihn nicht 'erkaufen' wollen.
Führen Sie diese Gespräche nach Möglichkeit in einer für Sie beide vertrauten und angenehmen Umgebung. Bestimmt gibt es Orte in Ihrer Nähe, mit denen Sie beide gute und schöne Erinnerungen verbinden. Lassen Sie sich Zeit und üben Sie Geduld. Vor allem an sich selbst. Sprechen Sie aber alles offen und direkt an, was Sie belastet. Versuchen Sie dabei aber sachlich zu bleiben. Brechen Sie das Gespräch ab, wenn es zu emotional und zu aufgeheizt wird, bleiben Sie aber bereit, das Gespräch zu einer anderen Zeit fortzuführen, wenn sich die Gemüter wieder beruhigt haben.

Mit diesem Rat und dieser Empfehlung sollte es Ihnen und Ihrem Sohn gelingen die Beziehung zueinander wieder zu „harmonisieren“. Das kostet Sie und ihn jedoch auch eine Menge an Kraft, Nervenstärke, Geduld und nicht zuletzt auch Mut. Doch Sie werden sehen und spüren, dass es sich lohnt.

Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich alles erdenklich Gute.
Es würde mich freuen, wenn Sie mir später vielleicht auch einmal berichten würden, ob mein Rat Ihnen geholfen hat.

Liebe Grüße, Thomas Dereser
Bewertung durch den Fragensteller:
vielen Dank Herr Dereser, ich werde Sie auf alle Fälle kontaktieren und Ihnen mitteilen, wie es weitergegangen ist. LG, Wolferl

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