Navigation Psychomeda.de
Das Psychologie-Portal

Ständiger Streit. Was tun?

mamoon (w, 55) aus hamburg: Hallo,

es geht um unsere Familiensituation. Hier kurz in Stichworten zusammengefasst. Insgesamt 5 Kinder. Zwei wohnen noch zu Hause.

Unser Sohn Leon 22 J. unsere Tochter Nina 19 J.

Leon: als Kind = psychomotorisches Turnen,
Hörtrennschwäche, ADS= mit 16J. diagnostiziert.
Tabletteneinnahme verweigert.

Ständiger Streit seit 8. Lebensjahr mit Nina. Meist geht die Provokation von ihm aus.
Mit den beiden ältern Geschwistern kommt er gut aus.
Teilweise Konflikte mit meinem Mann.

Beispiel: Leon möchte Rat von meinem Mann, mein Mann antwortet. Wenn die Antwort nicht ausfällt wie Leon möchte, sagt er nur: Ach Papa, du hast doch keine Ahnung.

Er ist teilweise sehr anmaßend und direkt.

Jetzt gab es Streit beim Essen, Leon provozierte Nina - wie furchtbar sie aussehe und wie prollig sie rumliefe usw.
Nina titulierte ihn mit Schimpfworten und rannte raus.
Leon schrie, er würde sie hassen.
Mein Mann brüllte unseren Sohn an, er hätte all die Jahre ständig provoziert und hätte dadurch das Familienleben kaputt gemacht.
Mein Mann ist derzeit nervlich stark angespannt.

Seither ist die Kommunikation zw. meinem Mann und Leon so gut wie weg.
Gerade noch 'Hallo', wird gesagt. Ich versuche ständig zu vermitteln und bin schon völlig fertig.

Jetzt möchte mein Mann mit mir in den Urlaub,aber ich möchte nicht, wegen der Kinder. Habe Angst, das etwas passieren könnte.
Er meinte, das Leon alle dominiert und es so nicht weitergeht.
Nina möchte so gern ein gutes Verhältnis zu ihrem Bruder. Nur er lässt das nicht zu.





Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Hallo,
das klingt alles wirklich sehr kraftraubend. Danke, dass Sie uns davon erzählt haben. Ich bin sicher, dass viele Eltern, die Ihre Nachricht lesen, geseufzt haben und gedacht haben: Ja, das kenne ich auch!
Ich komme aus dem Süden von Deutschland, deshalb entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt ein Bild wähle, das Ihnen im Norden vielleicht weniger nah ist. Aber Sie werden verstehen, was ich meine. Stellen sie sich vor, Sie wären ein Bergführer. Einer, der Menschen auf hohe und durchaus auch gefährliche Berge begleitet. Ich komme zu Ihnen und sage, dass ich auf diesen 6000 Meter hohen Berg steigen will. Sie liefern mir Ausrüstung, Sie planen eine Route, Sie trainieren mich in den wichtigsten Abläufen und vieles mehr. Aber eines sagen Sie mir ganz klar: Herr Sczygiol, ich werde sie nicht tragen! Ganz egal was passiert, tragen kann und werde ich sie nicht. Sie würden mir versichern, dass Sie mich ermutigen, falls ich nicht mehr weiter weiß, aufgeben möchte oder das Gefühl habe, die Kraft geht mir aus. Aber Sie tragen mich nicht hinauf.
Warum erzähle ich Ihnen das? Es scheint so, als würde die Verantwortung für die Lösung der Familiensituation sehr – oder vielleicht sogar nur - auf ihren Schultern lasten. Sie vermitteln, versuchen auszugleichen, dafür zu sorgen, dass nichts passiert. Ich bin sicher, Sie könnten unendlich erzählen über Situationen, in denen sie für den Frieden in der Familie gesorgt haben. Stimmt das? Aber eigentlich ist ja heute kein Grund ersichtlich, warum die anderen diese Verantwortung nicht auch tragen könnten. Ich habe die Ahnung, dass Sie da in den letzten Jahren oder sogar Jahrzehnten viel für Ihre Familie geleistet haben. Ihre Familie kann sich glücklich schätzen, dass Sie diese Rolle mit so viel Herzblut eingenommen haben. Das ist ja überhaupt nicht selbstverständlich. Möglicherweise ist es jetzt aber Zeit, die Verantwortung neu zu verteilen. Ich bin überzeugt, dass Sie Ihre Kinder sehr lieben. Und ich denke, dass es eine tolle Art sein könnte, Ihre Liebe zu zeigen, dass Sie jetzt sagen: Ich habe Euch jetzt lange behütet, geschützt, getragen, weil ich Euch liebe. Ich würde das auch weiter tun, obwohl es mich Kraft kostet. Aber ich weiß, dass ich meine Liebe zu Euch am besten dadurch zeigen kann, dass ich Euch jetzt helfe, selbst Verantwortung zu tragen.
Zu der Geschichte vom Bergführer: Kinder müssen eine ganze Zeit lang getragen werden und manche Kinder, wie es offenbar auch bei Ihrem Sohn der Fall war, vielleicht länger als andere. Das ist richtig gewesen. Und nun ist meine Idee, dass Sie ein bisschen mehr so werden könnten, falls Sie das wollen, wie dieser Bergführer. Sie könnten sagen: Ich bin weiter bei Euch, ich ermuntere Euch, ich gebe Euch Tipps. Aber ich gehe nicht für Euch und ich trage Euch nicht. Konkret: Sie könnten sich entscheiden Ihrem Mann zu sagen, er solle das bitte mit Ihrem Sohn klären. Gleiches sagen Sie der Tochter und gleiches sagen Sie dem Sohn. Sie können Ihnen Unterstützung geben, aber klären müssen die das. Im übrigen mag ich das Bild auch deshalb, weil ich es mindestens so schwierig finde, Kinder gut in die Welt zu begleitem wie auf einen gefährlichen 6000er zu steigen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Gedanken lesen? Was geht Ihnen dabei durch den Kopf? Vielleicht ist das was ich schreibe ganz unpassend, dann verwerfen Sie es einfach. Vielleicht regt es Sie aber auch zu Gedanken an, dann können Sie es ja nutzen. Meine Erfahrung ist, dass es auch für einen selbst sehr schwer sein kann, eine Rolle, die lange notwendig war, abzulegen. Das ist manchmal verdammt schwer! Ich weiß nicht, wie es Ihnen da geht.
Ich könnte aber mir vorstellen, dass Sie dann sogar noch einen Schritt weiter gehen könnten. Sie könnten sagen: Das schaue ich mir nicht mehr länger an! Ich schaue mir nicht an, dass hier geschrien wird, dass hier Streit ist, dass ich nicht ohne Sorge in den Urlaub fahren kann. Sie könnten ganz deutlich machen, dass Sie nicht bereit sind, das länger anzusehen. Und dann sagen Sie: Ich erwarte von Euch, dass Ihr eine Lösung findet. Ich werde hier so lange sitzen und warten, bis Ihr mir sagt, wie es anders laufen kann. Ihr könnt mir gerne auch sagen, was ihr von mir braucht, aber ich warte, bis IHR mir sagt, wie es gehen kann. Schluss!
Angenommen, Sie würden das tun? Wie wäre das für Sie? Wie für Ihren Mann? Wie für Ihren Sohn, wie für Ihre Tochter?
Möglicherweise könnte das gerade für Ihren Sohn ein hilfreiches Signal sein. Es ist manchmal nicht leicht, als ein Kind, das es schwerer hat, das Unterstützung und Therapie braucht, ein gutes Zutrauen in sich selbst zu entwickeln. Man ist halt schwierig und auffällig. Es könnte für Ihren Sohn sehr stärkend sein, wenn Sie ihm zeigen: Ich traue Dir das zu. Ich bin weiter da. Wie ein Hafen. Aber ich traue Dir zu, dass Du selbst hinaussegeln kannst und auch stürmische See meistern wirst. Möglicherweise braucht er viele solcher Zusprüche, bis er es glaubt. Solange er es nicht glaubt, wird es eben auch schwer, die Verantwortung zu übernehmen. Es geht also um viel Zutrauen. Und auch darum zu sagen: Stopp, so geht das nicht weiter!
Vielleicht passt das alles nicht für Sie. Vielleicht sagen Sie auch, dass es zwar schon passt, aber aus bestimmten Gründen nicht einfach umzusetzen ist. Deshalb möchte ich Ihnen noch mitgeben, dass es auch hilfreich sein kann, einen Familientherapeuten aufzusuchen. Oder eine Beratungsstelle, wo Sie sogar kostenlos Beratung in Anspruch nehmen können. Ich hänge Ihnen einen Link an. Lassen Sie sich nicht durch den Namen „Erziehungsberatung“ abhalten, das ist auch dann, wenn Ihr Sohn schon volljährig ist eine sinnvolle Anlaufstelle.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft und hoffe, dass meine Antwort Ihnen hilfreich sein kann. Danke für Ihr Vertrauen.
Herzliche Grüße
Andreas Sczygiol
Bewertung durch den Fragensteller:
mir wurde sehr gut geholfen und ich werde den Rat befolgen. Vielen lieben Dank, Herr Sczygiol!!!





Online-Beratung

Auf Psychomeda beantworten Psychologen und Therapeuten Ihre Fragen unentgeltlich. Jetzt online Ihre Frage stellen...


Therapeuten

Zuletzt aufgerufene Therapeuten-Seiten. Therapeut, Coach, Berater? Eintragen...


Beliebt auf Psychomeda


TwitterSocial Feed



Folgen Sie uns auf Twitter


Qualität

Psychomeda ist ein unabhängiges psychologisches Informations- und Beratungsportal von Psychologen und Therapeuten. Wir informieren evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage. Weiter