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Pubertät und hochsensibel

Alex (w, 45) aus Main-Spessart: Liebes Psychomeda-Team,
unser Sohn ist mit 14 nun mitten in der Pubertät angekommen und zieht sich altersbedingt und durch Corona verstärkt zurück. Er war schon als kleiner Junge sehr empfindsam und ich vermute eine Hochsensibilität bei ihm, die ihn nun schon fast krankhaft hemmt mit anderen (Gleichaltrigen, Erwachsenen) in Kontakt zu kommen. Er bemerkt immer deutlicher, dass er 'anders' ist und grübelt ziemlich viel. Bisher haben wir seine ausgeprägte Wahrnehmung und die damit verbundenen Auswirkungen, bis auf seine Geräuschempfindlichkeit, nicht mit ihm thematisiert. Würde ihm das helfen? Wie gehen wir da vor? Wir möchten ihm gerne helfen, sich freier bewegen zu können und machen uns Sorgen, dass er aus seiner Isolation nicht oder nur schwer wieder herauskommt. Können Sie uns evtl. ein Buch zum Thema HS bei Jugendlichen empfehlen? Herzlichen Dank!

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Alex,
vielen Dank für Ihre Nachricht, Ihre Offenheit und Ihr Vertrauen, das Sie uns, den Therapeutinnen und Therapeuten, bei psychomeda.de entgegenbringen.

Sie machen sich Sorgen um Ihren Sohn, möchten ihn unterstützen und möchten, dass es ihm auf seinem Weg ins Erwachsenenleben gut geht. Momentan sind Sie unsicher, ob Sie Ihre Vermutung über die Hochsensibilität und Ihre Sorge über seine zunehmende Isolation mit Ihrem Sohn teilen sollten. Es tut Ihrem Sohn sicher sehr gut zu spüren, Eltern zu haben, die sich für sein Leben interessieren und möchten, dass es ihm gut geht.

Ich habe mir überlegt, Ihnen im Rahmen eines „Selbstgespräches“ zu antworten. Das heißt, ich betrachte mir Ihr Thema von verschiedenen Seiten und lade Sie ganz herzlich dazu ein, meinen „inneren Selbstgesprächen“ zu folgen.
Vielleicht betrachten Sie meine folgenden Gedanken wie eine bunte Blumenwiese, auf der man einen Strauß pflücken möchte: Manche Blumen gefallen einem sehr gut und Sie werden sie pflücken; manche gefallen einem weniger und Sie lassen diese stehen. Auf meine Gedanken bezogen wird es Ihnen wahrscheinlich ähnlich gehen: Manches wird Ihnen gefallen und Sie pflücken diese „(Gedanken-)Blume“; manch andere Gedanken gefallen Ihnen weniger gut und Sie lassen die Blume stehen.

Dann möchte ich Sie nun herzlich einladen, meine nachfolgende „Gedankenblumenwiese“ zu betrachten. Das bedeutet, Sie schauen mir sozusagen bei meinem inneren Selbstgespräch über Ihr Thema zu. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie im folgenden Text nicht direkt mit 'Sie' anrede, sondern von Ihnen als „den Eltern“ oder „dem Sohn“ rede. Wenn ich mein Selbstgespräch beendet habe, rede ich Sie wieder direkt an.

Dann beginne ich jetzt mein inneres Gespräch:
Als erstes kommt mir spontan in den Sinn: Die Eltern könnten bei eine/m Fachfrau/beim Fachmann vorstellig werden und abklären lassen, ob bei Ihrem Sohn Hochsensibilität vorliegt. Dann könnte die Vermutung der Eltern bestätigt oder widerlegt werden und es würde mehr Klarheit herrschen. Eine Diagnose könnte eine Erleichterung für die Eltern sein („Endlich wissen wir, was los ist.“) und auch für den Sohn, der dann ebenfalls ein Erklärungsmodell bekäme, warum er „anders“ ist („Endlich habe ich eine Idee davon, was mit mir los ist und warum mir beispielsweise der Kontakt zu anderen Menschen schwerer fällt als anderen.“). Möglicherweise könnte eine Diagnose den Sohn entlasten und dazu führen, dass er weniger grübelt.

Gleichzeitig ploppt in mir die Frage auf, aus welchem Grund die Eltern diesen Schritt (noch) nicht gemacht haben. Haben die Eltern bedenken, dass ihr Sohn den Gang zur Fachfrau/zum Fachmann nicht mitmacht? Haben die Eltern bedenken, dass ihr Sohn durch eine Diagnose denken könnte, er sei in irgendeiner Art und Weise krank? Wollen die Eltern ihren Sohn vielleicht davor schützen? Eine Diagnose kann beides bedeuten: die Diagnose kann erleichternd wirken, sie kann aber auch als Bedrohung wahrgenommen werden („Mit mir stimmt was nicht!“).

Andererseits frage ich mich, ob ich mit meinen Gedanken nicht viel zu schnell bin und aus verschiedenen Gründen das Aufsuchen einer fachkundigen Person und das Stellen einer Diagnose im Moment noch nicht als gangbarer Weg für die Eltern und/oder den Sohn wahrgenommen wird. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Eltern nicht wissen, wie sie ihren Sohn darauf ansprechen können. Es scheinen Ängste oder Bedenken auf Seiten der Eltern da zu sein, die die sie bisher davon abgehalten haben, mit dem Sohn das Thema Hochsensibilität und Ihre Sorge um ihn zu besprechen.

Ich frage mich, was schlimmstenfalls passieren könnte, wenn die Eltern ihren Sohn direkt fragen, wie es ihm geht und was er, der Sohn, von der Vermutung der Eltern hält, er könnte hochsensibel sein. Und, ob der Sohn ihre Sorge um seine sozialen Kontakte nachvollziehen kann. Es ist sicher sehr spannend zu erfahren, wie der Sohn seine Welt erlebt. Auch im Hinblick auf seine sozialen Kontakte: Erlebt es ebenfalls als Belastung? Wie erlebt er seine Welt? Welchen Anteil hat Corona gerade an der derzeitigen Situation, die für viele – vor allem junge Leute – eine erhebliche Belastung darstellt. Schließlich wurden durch Corona wesentliche Bereiche von jungen Leuten stark eingeschränkt: Schule, Freizeitaktivitäten und Freunde.

Zum Thema Pubertät fällt mir ein: Die Pubertät ist ein vielen Familien ein, eher mehr als weniger, nervenaufreibendes „Nähe-und-Distanz-Spiel“. Einerseits möchten sich Teenager stark vom Elternhaus abgrenzen und eigenständig entscheiden, andererseits bestehen häufig genauso starke Wünsche nach Nähe und Eingebundensein in der Familie. Wenn der Sohn sich im Moment zurückzieht: Es ist sicher hilfreich, wenn die Eltern ihm weiter „Beziehungsangebote“ machen, die ihn spüren lassen, dass seine Eltern für ihn da sind, wenn er Sie braucht; und die Eltern ihn gleichzeitig spüren lassen, dass seine Autonomie respektiert wird. Möglicherweise hilft es ihm, sich zu öffnen und sein Erleben und seine Bedürfnisse zu äußern.

An dieser Stelle möchte ich jetzt mein Selbstgespräch beenden und hoffe, dass Sie aus dem Gedankenstrauß die eine oder andere Blume für sich pflücken konnten.

Vielleicht finden Sie auf der Seite http://www.hochsensibel.org/ noch hilfreiche Informationen. Das ist eine wie ich finde sehr umfangreiche Seite, die unter anderem auch Hochsensibilität bei Kindern und Jugendlichen thematisiert. Ferner finden Sie umfangreiche Linklisten und Literaturlisten.

Ich wünsche Ihnen, Ihrem Sohn und Ihrer gesamten Familie von Herzen alles Gute und hoffe, dass Sie sich beim Lesen meiner Antwort verstanden, wohl und gut aufgehoben gefühlt haben.

Herzliche Grüße
Ihre Christina Schulz
Bewertung durch den Fragensteller:
Herzlichen Dank für die einfühlsame Betrachtung, die uns Klarheit gegeben hat und uns befähigt gute Entscheidungen zu treffen. Liebe Grüße!





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