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Warum lüge ich und was kann ich tun?

Justin (m, 22) aus Schweiz: Guten Tag,

also ich habe ein relativ grosses Problem mit Lügen. Ich lüge bei kleinen und auch teilweise bei grossen Dingen.
Die Lügen sehen teilweise so aus: 'Ja, das hab ich dir extra mitgebracht' (auch wenn es nicht absichtlich war) oder 'Ja, das hab ich nicht vergessen, brauchst mich nicht dran zu erinnern' (wenn ich es vergessen habe lol).

Aber teilweise waren es auch Riesenlügen, wie z.B. dass ich SEHR viel Geld habe usw. Von solch Lügen bin ich mittlerweile weg, aber diese ganz vielen kleinen Lügen stören mich extrem. Vor allem, weil es nichts Besonderes ist. 'Ja ich kann gut Skateboard fahren' - ich verstehe nicht, wieso ich in solchen Situationen nicht einfach ehrlich sein kann und sagen kann 'Ne, kann ich nicht'.

Therapie fängt bei mir bald an, aber ich will die Ursache wissen und was ich schon vor Beginn der Therapie machen kann. Ich verabscheue mich selber.

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Hallo Justin,

ich kann dich gut verstehen, dass es dich so sehr stört, dass du immer wieder zu diesen Lügen greifst, und dass du dich fragst, woher das kommt und was du tun kannst.

Erstmal finde ich es schon mal ganz toll, dass du es von ganz alleine geschafft hast, mit den großen Lügen aufzuhören. Das zeigt, dass du erkannt hast, dass das ein Problem ist, dass du wirklich etwas ändern willst und dass du vor allem auch die Fähigkeit hast, etwas zu ändern. Du bist also wirklich auf einem guten Weg. Und dazu hast du dir nun auch noch therapeutische Unterstützung gesucht, die dich sicherlich dabei unterstützen kann, noch weiter voranzukommen.

Nun zu deinen Fragen: Da ich dich nicht weiter kenne, kann ich natürlich nur allgemeine Überlegungen anstellen. Aber vielleicht hilft es dir trotzdem weiter. Ich denke, ein wichtiger Grund, warum Menschen lügen, ist, dass wir ja von Natur aus soziale Wesen sind. Andere Menschen sind einfach wichtig für uns. Und wir wollen, dass sie gut von uns denken und mit uns Kontakt haben und halten wollen. Darum lügen wir auch alle mal. Das ist also an sich ein normales Verhalten. Und in den meisten Fällen ist das auch nicht schlimm, weil es sich nur um kleine Lügen handelt und nicht so häufig vorkommt. Schwierig wird es natürlich, wenn man durch die Lügen ein sehr verzerrtes Bild von sich vermittelt und wenn man das Gefühl hat, gar nicht anders zu können als zu lügen.

In solchen Fällen spielen meist weitere Gründe eine Rolle. Wahrscheinlich hat man irgendwann im Laufe seines Lebens von seinem Umfeld vermittelt bekommen, dass man unbedingt ein guter Mensch sein muss, dass man andere immer gut behandeln muss, dass man gute Leistungen bringen muss und dass man keine Fehler machen darf und keine Schwäche zeigen darf. Denn ansonsten würden die anderen von einem schlecht denken und sich von einem abwenden. Besonders wenn man so etwas von klein auf vermittelt bekommt, kann sich das sehr tief einbrennen und man das Gefühl haben, gar nicht anders zu können. Darum spielt man den anderen lieber etwas vor, als zu sagen, wie es wirklich ist. Deshalb denke ich auch nicht, dass du verabscheuungswürdig bist. Du hast wahrscheinlich Erfahrungen im Leben gemacht, die dir das Gefühl geben, dass es sicherer ist, anderen etwas vorzuspielen. Das hast du dir nicht ausgesucht. Und ich finde, das verdient nicht Abscheu, sondern viel Mitgefühl.

Die gute Nachricht ist, dass man solche Muster verändern kann, auch wenn man sie von klein auf verinnerlicht hat. Das braucht Zeit, viel Geduld und Übung, aber das Gehirn kann ein Leben lang Neues lernen und neue Verknüpfungen bilden. Das hast du ja auch schon selbst gemerkt, indem du mit den großen Lügen aufgehört hast. Das mit den kleinen Lügen schaffst du daher bestimmt auch noch.

Was helfen kann, ist zunächst einmal zu akzeptieren: 'Okay, ich habe ein Problem mit dem Lügen. Das hat sicherlich Gründe in meiner Vergangenheit. Und ich arbeite ja jetzt daran, dass es besser wird.' Also dir keine Vorwürfe machen, sondern annehmen, dass es jetzt so ist, dass es wahrscheinlich etwas Zeit braucht und Mitgefühl mit dir haben.

Im nächsten Schritt kannst du ja mal auf Situationen in der letzten Zeit schauen, in denen du gelogen hast. Z.B. die Sache mit dem Skateboard. Dein Gefühl sagt sicher, dass, wenn du in der Situation die Wahrheit gesagt hättest, etwas Schlimmes passiert wäre - z.B. dass die anderen dich ausgelacht hätten oder nichts mehr mit dir zu tun gewollt haben hätten. Aber was glaubst du ganz rational, was wirklich passiert wäre? Wäre wirklich etwas Schlimmes passiert? Was wäre ein realistischer Ausgang? Meistens passiert nämlich gar nicht das, was wir befürchten. Und falls doch, gibt es meistens immer noch Wege, damit umzugehen.

Und dann geht es darum, diese Überlegungen mal in der Realität zu testen. Vielleicht gibt es eine Situation, die immer wieder auftaucht, so dass du dich darauf ein bisschen vorbereiten kannst. Am besten ist es eine Situation, wo du dir eigentlich recht sicher bist, dass nichts Schlimmes passieren kann. Einfach eine, die sich nicht ganz so bedrohlich anfühlt. Und dann testest du mal aus, was passiert, wenn du in der Situation die Wahrheit sagst. Oder vielleicht die Lüge auch erstmal nur etwas kleiner machst. Z.B. statt zu sagen, dass du gut Skateboard fahren kannst, könntest du sagen, dass du es ein bisschen kannst. Oder nicht ganz so gut. Oder gar nicht. So wie du es dir erstmal zutraust. Und dann schau, was wirklich passiert.

Je mehr du das übst und je mehr du die Erfahrung sammelst, dass nichts Dramatisches passiert oder du mit den Reaktionen der anderen umgehen lernst, desto weniger wirst du das Gefühl haben, auf Lügen zurückgreifen zu müssen. Und die allermeisten Menschen kommen damit klar, dass andere nicht perfekt sind, nicht alles können und nicht immer an alles denken. Denn das ist ganz menschlich - niemand ist perfekt. Und es fühlt sich ganz gut an zu wissen, dass andere das auch nicht sind. Und Menschen, die dich nur akzeptieren, wenn du immer alles richtig machst - da wäre dann die Frage, ob die wirklich eine so große Rolle in deinem Leben spielen sollten.

Was du parallel auch noch machen kannst, ist, deinen Blick mehr und mehr auf das zu lenken, was du gut kannst, was du gut machst. Wie gesagt, wir alle machen Fehler, aber wir alle machen auch vieles gut und haben Fähigkeiten und Stärken. Es ist gut, sich beidem bewusst zu sein.

Ich bin mir sicher, dass du das auch noch schaffen wirst. Du hast schon viel geschafft und du bist auf einem guten Weg. Mach weiter so!

Viele Grüße
Astrid Hiersekorn





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