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Interview mit der Diplom-Psychologin Andrea Englisch

Dipl. Psych. Andrea Englisch Hört oder liest man „Gesundheit“, denkt man zuerst an körperliche Unversehrtheit. Dem Volksmund gemäß wohnt in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist. Uns fällt es leicht, körperliche Abweichungen und Fehlfunktionen als Krankheiten einzustufen, doch was macht einen gesunden Geist bzw. eine gesunde Psyche aus? Und wann ist man seelisch krank? Wir reden mit der Diplom-Psychologin Andrea Englisch (Dresden) über die gesunde psychische Entwicklung von Kindern. - von Dipl. Psych. Andrea Englisch, Jun 2015
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern zeigt jedes 7. Kind in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Wo lauern Gefahren für eine gesunde psychische Entwicklung? Was bringt Kinder aus dem Gleichgewicht? Und umgekehrt: Was ist der psychischen Gesundheit zuträglich?

Wenn Kinder eine stabile und gute Beziehung zu ihren Eltern haben, können sie vielen Widrigkeiten ausgesetzt sein und diese gut überstehen. Die ersten drei Lebensjahre sind am entscheidendsten für unsere Entwicklung. Erleben wir in dieser Zeit zu viele Zurückweisungen, Trennungen, Gewalt, Vernachlässigung o.ä., wirkt sich das oft auf den Rest unseres Lebens aus. Die sicherste Basis für eine gesunde Entwicklung von Kindern ist es, wenn es ihren Eltern selbst gut geht. Wenn diese die Kapazitäten haben, verständnisvoll und achtsam auf ihr Kind einzugehen.

Die Forschung zeigt verschiedene Risikofaktoren wie chronische Erkrankungen, familiäre Belastungen, Arbeitslosigkeit, hoher Alkoholkonsum oder eigene schwierige Kindheitserlebnisse. Daher sollten Eltern sich zunächst selbst Hilfe holen, wenn sie sich mit unbewältigbaren Situationen konfrontiert sehen. Der Kinderseele sind ein positives Familienklima, Offenheit, Optimismus, Selbstwert und Selbstwirksamkeit am zuträglichsten.

Wie kann es sich äußern, wenn ein Kind aus dem Gleichgewicht geraten ist? Gibt es typische Anzeichen für Mädchen oder Jungen? Oder typische Anzeichen in unterschiedlichen Altersgruppen?

Kinder zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen, wenn es ihnen nicht gut geht. Allgemein lässt sich sagen, dass Jungen eher „externalisieren“ (ihre Probleme nach außen agieren, aggressiv, laut, zappelig werden) und Mädchen vermehrt „internalisieren“ (still, zurückgezogen, ängstlich werden). Darin liegt auch die Gefahr, dass leidende Mädchen öfter übersehen werden, während Jungen häufiger in Beratungspraxen auftauchen, da ihr Verhalten für die Umwelt schwerer auszuhalten ist.
Es gibt auch Symptome, die vorrangig in gewissen Altersgruppen auftreten, ein 5jähriges Kind wird auf Belastungen eher mit Einnässen oder Stottern oder Trotzanfällen reagieren, ein 15 Jähriger eher mit Rückzug, Essstörungen oder Suchtverhalten. Die schwierigste Phase der Kindheit ist die der Pubertät, nicht nur für die Eltern.

Für manche Kinder können Lügen ein „Ausweg“ sein. In welchem Alter treten Lügen normalerweise auf? Warum lügen Kinder?

Von einer Lüge lässt sich bei Kindern tatsächlich erst ab einem Alter von 5-6 Jahren reden. Davor sind sie von ihrer Entwicklung her noch nicht dazu in der Lage, zwischen Wahrheit und Vorstellung zu unterscheiden. Genauso real wie für sie ein Monster unterm Bett ist oder das Kuscheltier als Freund, ist es auch das in Wirklichkeit nicht stattgefundene Ereignis, wenn sie es sich sehr wünschen.

Ab dem Schulalter ungefähr sind sie also dazu in der Lage, zu unterscheiden, ob etwas stimmt oder nicht. Was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass sie auch fortan immer die Wahrheit sagen können.

Der häufigste Grund, warum Kinder lügen, ist, dass sie Angst vor einer Bestrafung haben. Eltern können das vielleicht nicht immer nachvollziehen, wissen sie doch, dass nichts dramatisches passiert, wenn das Kind zugibt, dieses oder jenes getan zu haben. Kinder können die Konsequenzen ihres Handelns jedoch nicht gut abschätzen. Und auch der ablehnende Blick, ein zeitweiliges Schweigen oder die Aussage „Mutti ist ganz enttäuscht von dir, weil du..“ kann für das Kind so bedrohlich sein, dass es beim nächsten Mal als erste Schutzreaktion eine Lüge ausprobiert.

In höherem Alter sind Lügen auch kulturell erlernt. Kinder wollen zunächst ehrlich sein und sind es auch schonungslos. Wer kennt nicht die Situationen „Warum ist die Frau da vorn so dick?“ oder „Die Oma mag ich nicht, ich will sie nicht begrüßen.“ Unter dem Erziehungsziel Höflichkeit lernen Kinder, in gewünschten Situationen zum Teil zu lügen. Sie können erst später unterscheiden, wann dies gewollt ist und wann nicht. Und sie verstehen auch erst später, in welchen Situationen Lügen aufgedeckt werden und wann nicht. Studien zeigen, dass Erwachsene im Schnitt 2 mal pro Tag lügen. Kinder werden also nur öfter dabei erwischt.

Wie reagiert man auf eine Lüge, wenn man beispielsweise genau weiß, dass das Kind vom Kuchen genascht hat? Wie kann man verhindern, dass ein Kind wieder oder öfter lügt?

Ich glaube, das Wichtigste ist, sich klarzumachen, dass Kinder nicht lügen, weil sie böse sind oder weil sie mit Absicht unser Bedürfnis nach Ehrlichkeit übergehen. Das hilft erstmal, die ganze Sache mit mehr Abstand zu betrachten.

Dann können wir uns daran begeben, den Grund für die Lüge herauszufinden. Allerdings nicht mit der Frage „Warum hast du das gesagt?“, das können Kinder nicht beantworten. Aber wir können uns Gedanken machen und diese als Vorschläge äußern: „Du hattest Angst, dass ich böse werde, wenn ich merke, dass du am Kuchen genascht hast. Und dann wolltest du dich vor meiner Strafe schützen.“ oder „Du hast dir den Ausflug wohl so sehr gewünscht, dass du jetzt alles dafür tun wolltest, dass wir ihn machen.“ Kinder können gut darauf antworten, fühlen sich verstanden und gesehen und lernen zudem noch Möglichkeiten, wie sie ihre Gefühle und Bedürfnisse in Zukunft klarer ausdrücken können.

Wie bei allem Verhalten, ist es auch hier hilfreich, nicht nur die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was in unseren Augen unerwünscht ist, sondern regelmäßig bewusst danach zu suchen, was gut läuft. Wenn Kinder immer mal die Botschaft hören „Ich finde es nicht klasse, dass du die Mütze schon wieder verloren hast, aber ich freu mich sehr, dass du es mir gleich gesagt hast“, hilft ihnen das, Situationen ehrlich zu meistern.

Und das Schwierigste ist natürlich, uns selbst nach unserem Verhältnis zur Wahrheit zu befragen. Kinder lernen am meisten durch unser Verhalten und entwickeln immer feinere Antennen für das Geschehen in ihrer nahen Umgebung.




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