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heimliches Ritzen

Mama68 (w, 43) aus celle: Liebes Expertenteam,

ich habe den berechtigten Verdacht, dass sich meine 14 jhrg. Tochter ritzt, da es schon einmal eine kurze Episode im Frühjahr gab, bei der ich die Ritzspuren an ihrem Unterarm gesehen habe.

Ich hatte mit ihr darüber gesprochen und ihr auch gesagt, dass ich immer für sie da bin, wenn sie mich braucht und darüber reden möchte.

Sie hatte damals alles abgestritten und es als eine Mutprobe unter Freundinnen verkauft - darüber war ich natürlich erleichtert und habe es auch ohne Bedenken geglaubt, da wir einen sehr liebevollen und vertrauensvollen Umgang haben.

Da ich mir sehr große Sorgen um Ihr Seelenleben mache, habe ich nun etwas getan, was man eigentlich nicht tun darf - ich habe in ihrem Tagebuch geblättert. Darin steht, dass sie sich ritzt und Angst hat, dass man es in unserem Türkeiurlaub im Oktober noch sieht.

Ich mache mir große Sorgen und weiß nicht, wie ich jetzt weiter vorgehen kann. Sie darf natürlich unter keinen Umständen erfahren, dass ich in ihrem Tagebuch geblättert habe. Ich habe so etwas noch nie getan und finde es auch ganz schrecklich, hatte aber eben so eine Angst!!

Sie macht einen ausgeglichenen Eindruck, so dass ich keinen Ansatzpunkt habe sie auf dieses Thema anzusprechen!!! Was soll ich tun????

Zu meiner Person: Ich bin w., allein erziehend mit 2 Kindern ( Tochter & Sohn) und an multipler Sklerose erkrankt!! Sehr viel für eine so junge Seele!!!!!!!

Ich bin dankbar für Ihren Rat und verbleibe mit freundlichen Grüßen!!

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe Mama68,

danke für Ihren Beitrag, der eine durchaus typische Situation schildert: Sie als Mutter wissen definitiv um das Ritzen Ihrer Tochter, sehen aber keine Möglichkeit einzugreifen.

Das Phänomen der Selbstverletzung, speziell des Ritzens, ist in der Tat sehr schwer zu verstehen. Es ist meist Ausdruck sehr tief liegender seelischer Konflikte. So tief liegend, daß sogar die betroffenen Personen selbst (fast immer junge Mädchen) überhaupt keinen Anlaß oder Ansatz sehen, darüber zu sprechen.

In der Tat haben Sie einen Vertrauensbruch begangen, indem Sie das Tagebuch Ihrer Tochter durchgesehen haben. Aus dieser Tat spricht aber auch Ihre pure Verzweiflung, die zu einigen Taten führt, die 'eigentlich' nicht richtig sind.

Wenn Ihre Beziehung zu Ihrer Tochter tatsächlich liebevoll und tragfähig ist, berichten Sie Ihrer Tochter davon! Sprechen Sie in der Ich-Form, daß Sie verzweifelt sind und Sie einen schlimmen Verdacht haben, daß sie sich selbst verletzt. Sprechen Sie von Ihren Ohnmachtsgefühlen und Ihrer Ratlosigkeit.

Aufgrund Ihrer Familiengeschichte liegt der Verdacht nahe, daß viele Aspekte in diesen seelischen Konflikt hineinspielen. Sie schreiben 'sehr viel für eine so junge Seele'. Die Frage ist aber auch: 'wie viel für IHRE Seele?'.

Sie selbst haben die Möglichkeit, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und in diesem Fall sind Sie diejenige, die im Augenblick nicht weiterweiß. Es mag jetzt hart für Sie klingen, aber manchmal kann es der richtige Schritt sein, erst einmal an sich selbst zu denken. Ritzenden Mädchen fehlt manchmal eine ganz bestimmte Vorbildfunktion. Die könnten Sie vielleicht darin ausüben, daß Sie selbst professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und Ihrer Tochter damit zeigen, wie eine Person rücksichstvoll mit sich selbst umgeht. Ihre Tochter zu drängen oder unter Druck zu setzen, wird vermutlich nicht sinnvoll sein. Auch eine systemische Therapie, in der Ihre ganze Familie betrachtet wird, kann ein guter Ansatz sein.

Bitte verlieren Sie in dieser Situation nicht den Kopf sondern stabilisieren sich zuerst selbst. Erst dann können Sie anderen, allen voran Ihrer Tochter, eine echte Hilfe sein. Wenn Sie es schaffen, in Ihrem eigenen Bewußtsein eine Veränderung herbeizuführen, wird sich dies mit großer Wahrscheinlichkeit schon positiv auf Ihre Tochter auswirken. Ich wünsche Ihnen Mut und Entschlossenheit!

Herzliche Grüße

Ihr

Holger Nikolai
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