Älterwerden in der Partnerschaft

Liebe Yvi,

danke für Ihre Zuschrift, die ich als eine Art Mischung aus Empörung und Verletztheit interpretiere. Sie scheinen sich Ihrer selbst durchaus bewußt zu sein, können Ihre Bedürfnisse und das Älterwerden beobachten und akzeptieren. Nicht jeder kann dies in gleichem Maße, und Ihr Mann scheint tatsächlich ein größeres Problem damit zu haben. Es gibt den schönen Spruch 'Mein Mann ist treu, aber nicht blind!', den manche Frauen benutzen, um ihrem Mann zuzugestehen, nach äußerlich attraktiven Frauen zu gucken.

Das ist aber kein Freifahrtschein für Ihren Mann, sich in herablassender und verletzender Weise über Sie zu äußern! Die Trennung von körperlicher und menschlich-seelischer Attraktvität ist eine gefährliche Angelegenheit. Sexualität sollte Liebe und Vertrauen voraussetzen, beides benötigt Zeit - und Zeit läßt altern! Somit kann sich auch im Alter das Gefühl von sexueller Attraktivität durchaus steigern - mit den Fältchen!

Vielleicht möchte Ihr Mann Ihnen - auf eine unbeholfene Weise - deutlich machen, daß er sich mehr Körperlichkeit wünscht. Es klingt vielleicht seltsam, aber viele Menschen drücken Ihre Wünsche und Bedürfnisse über Aggressionen aus. Vielleicht gerade deshalb, weil Ihr Mann sich über seine eigenen körperlichen Alterungsprozesse auch stärker bewußt wird.

In einem ersten Schritt empfehle ich Ihnen, mit Ihrem Mann ein intensives Gespräch zu führen und ihm in der Ich-Form mitzuteilen, daß Sie sich gekränkt und verletzt fühlen. Fragen Sie ihn, was er sich wünscht, was ihm fehlt und fragen Sie ihn auch, wie er mit seinem älter werdenden Körper umgeht. Schließlich könnten auch Sie Ausschau nach jungen Männern halten. Der Prozeß des Alterns sollte zu einer aufrichtigen Partnerschaft dazugehören und thematisiert werden.

An dieser Stelle mache ich Ihnen jetzt vielleicht Angst, dennoch muß ich auf eine mögliche organische Ursache hinweisen: Bei manchen älteren Männern wird eine 'Enthemmung' beobachtet, d. h. spontanes (sexuell) aggressives Verhalten (Sie schreiben 'er wird fies'). Dies kann in seltenen Fällen mit einem Abbauprozeß im Frontallappen (Gehirn) zusammenhängen. Wie gesagt, das klingt jetzt sehr dramatisch, soll aber lediglich eine Aufforderung an Sie sein, das Verhalten Ihres Mannes und den weiteren Verlauf aufmerksam zu beobachten.

Sollten Sie im Augenblick nicht 'weiterwissen', haben Sie auch die Möglichkeit, eine Paartherapie zu beginnen - vorausgesetzt, Ihr Mann ist einverstanden damit. Ein Paartherapeut begleitet Paare in Krisen und Übergangssituation, wie z. B. dem 'Älterwerden'. Der 'Blick von außen' hilft, wenn beide Partner emotional an Ihren Standpunkten hängen.

Sie sehen, es hilft nur das Gespräch, egal, auf welcher Ebene! Ich wünsche Ihnen die Entschlossenheit und die Stärke, sich darauf einzulassen. Manchmal sind es gerade die Krisen, die einer Partnerschaft zu neuer Dauerhaftigkeit verhelfen!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Holger Nikolai

Bewertung durch den Fragensteller:
Danke für Ihre kompetente Antwort.

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